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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Wanderstab. Die Drachen begleiteten sie durch die Wälder und sandten traurige Abschiedsgrüße, denn sie konnten nicht mitkommen, wenn Yelanah und Revyn die Nebelwelt verließen - die Welt der Menschen war viel zu gefährlich geworden.
    Der Übergang zwischen Nebeln und Wirklichkeit war heute schwieriger. Eine Weile liefen Revyn und Yelanah durch schneeweißen Dunst. Unter ihren Füßen raschelte kein Laub mehr und es schien kühler geworden zu sein. Plötzlich trugen mehrere Stimmen aus der Ferne eine Melodie zu ihnen.
    »Wer ist da?«, fragte Revyn.
    Yelanah horchte in den Nebel, ohne stehen zu bleiben. »Das sind die Elfen. Es sind ja … so viele!« Das Lied wurde nicht lauter, doch die Stimmen verdichteten sich zu einem schwermütigen Chor.
    »Was singen sie?«
    Eine Weile antwortete Yelanah nicht - dann begann sie, leise mitzusingen, und Revyn hörte das Lied durch ihre Gedanken:
     
    Wegen
goldnen Sonnenuntergängen,
die an Abendhimmeln hängen,
    Wegen
    Honig und Mondtränken,
die uns die Hellsicht schenken,
    Wegen
    Bäumen, die hoch streben
uns Schutz und Schatten geben,
woll’n wir
weiterleben.
    Das Lied erreichte einen Höhepunkt und viele helle Stimmen vereinten sich.
    »Es ist ein Abschiedslied«, murmelte Yelanah. Mit einem Mal wichen die Nebelschleier zurück und Revyn und Yelanah hatten die Wirklichkeit betreten. Ein lang gezogenes Seufzen hallte vom Lied der Elfen nach, mehr ein Echo als ein echtes Geräusch. Dann hatten sich Dunst und Stimmen aufgelöst wie ein Tagtraum. Dichter Wald umgab die beiden.
    »Wieso singen die Elfen ein Abschiedslied?«, fragte Revyn, während sie nebeneinander herliefen. Der weiche Moosboden federte ihre Schritte ab und Tannennadeln knisterten. Ein dumpfes Plock hallte durch den Wald, als Revyns Speer gegen eine Wurzel stieß. Irgendwo rief eine Amsel und eine zweite antwortete.
    »Ich weiß nicht, was Khaleios vorhat«, sagte Yelanah. »Aber … Nein, ich weiß es nicht.« Sie verstummte nachdenklich.
    Mittags legten sie eine kurze Rast ein und aßen von ihrem Proviant. Yelanah fühlte sich müde, doch sie wollte gleich wieder aufbrechen.
    »Mach dir keine Sorgen. Das liegt an der Wirklichkeit, sie bedrückt mich viel mehr als früher.«
    Auch Revyn spürte es inzwischen: Er konnte nicht sagen, woran es lag - der Luft, der Sonne, der Zeit selbst -, aber ihm war ganz schummrig, seit sie die Nebelwelt verlassen hatten. Alles kam ihm langsamer und träger vor und auch seine eigenen Bewegungen schienen immer schwerfälliger zu werden. Besorgt stellte er fest, dass er wirklich nicht mehr in die Welt der Menschen gehörte. Er vertrug sie nicht mehr.
    Abends legten sie sich unter die schützenden Äste einer Weide und schlossen sich in die Arme. Sie redeten nicht miteinander. Nur manchmal teilten sie ein Gefühl, ein Bild in der Sprache der Drachen. Dann klammerte Yelanah sich an Revyn, und er klammerte sich an sie, als gäbe es in der Finsternis nichts mehr außer ihnen, zwei verlorenen Kindern in einer totenstillen Nacht.
    Im Morgengrauen öffneten sich die Tore Isdads. Eine elftausend Mann starke Infanterie, eine fünfzigköpfige Kavallerie und hundert Drachenkrieger verließen die Stadt. Ein Drittel der Bevölkerung Isdads war in die Armee beordert worden.
    Zurück blieben Alte, Schwache, Kinder und ein verwirrendes Dickicht aus Gerüchten. Niemand wusste, ob der König tatsächlich gestürzt worden war. Hinter vorgehaltener Hand wurde von Verrat, haradonischen Spionen, dem Untergang des Königreiches gesprochen. Aber die königlichen Berater standen unter Bewachung und schwiegen.
    Isdads Heer zog nach Norden, direkt auf Haradon zu. Myrdhanische Dörfer lagen auf seinem Weg. Alle Männer und Frauen, die eine Waffe halten konnten, wurden in die Armee aufgenommen, so wie vor zehn Jahren.
    Nicht jeder war bereit, sich dem Heer widerstandslos anzuschließen - in den vergangenen Jahren war jeder Ungehorsam den haradonischen Besatzern gegenüber schwer bestraft worden und die Angst der Bauern saß tief. Noch dazu war König Morgwyn im einfachen Volk alles andere als beliebt, schließlich war der erneute Ausbruch des Krieges allein seine Schuld. Wäre er nicht aus seinem Exil von der Insel Karilla geflohen und hätte Isdad erobert, wäre das Leben der Menschen wie gewohnt weitergegangen.
    Alasar überzeugte die Dorfbewohner, dass er nicht König Morgwyns Befehl ausführte, indem er sein Schwert emporhielt und sagte: »Diese Klinge hat König Morgwyns Kehle durchschnitten. Wer

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