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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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er ihn verlieren, würde auch jener zarte, zerbrechliche Teil von ihm selbst zerfallen, der wahrscheinlich alles in ihm zusammenhielt: sein Glaube an das Gute. Wo auch immer es sein mochte. Welche Maske es auch trug.
    »Ich bin stolz auf dich«, sagte er leise. Tivam hielt im Kauen inne und sie sahen sich in die Augen. Alasar konnte nicht sagen, was Tivam durch den Kopf ging, welche Gefühle oder Gedanken oder Erinnerungen; aber er wusste, dass Tivam die seinen erkannte. Vielleicht war das das Wichtigste.
     
    Nachdem Isdad befreit worden war, musste schnell gehandelt werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis neue Legionen aus Haradon anrückten. Und diesmal würde König Helrodir seinen Strick dicker flechten, damit Isdad auch wirklich erstickte.
    Bevor es so weit kommen konnte, mussten im ganzen Land Unruhen ausbrechen. Am Ende sollte der König von Haradon so verwirrt sein, dass er nicht mehr wusste, wohin er seine Krieger als Nächstes schicken sollte.
    Am Morgen nach dem Sieg sandte Alasar auf Geheiß des Königs sechzig Windreiter nach Thebal, eine strategisch wichtige Stadt im Norden Myrdhans, die unter haradonischer Befehlsgewalt stand. Dreihundert Fußsoldaten und fünfzig Reiter auf Pferden begleiteten die Windreiter. Eine ähnliche Streitmacht zog in Richtung Westen los, in die Stadt Kytena, wo das größte Eisenwerk des Landes betrieben wurde. Gleichzeitig schickte König Morgwyn fünfzig seiner Soldaten aus, um das Salz zu holen, das Alasar nicht weit entfernt in einer Felshöhle versteckt hatte.
    Als die Soldaten am Abend mit dem kostbaren weißen Gut nach Isdad zurückkehrten, glich ihre Ankunft einem Festzug: Die Bürger Isdads priesen die Götter, weil ihre Stadt gerettet war. Und ein Name ging von Mund zu Mund, ehrfürchtig und dankbar gerufen wie der Name eines Heiligen: Alasar.
    Wer war er? Woher kam er? In allen Gassen sprach man davon, dass die Bürger Isdads Zeugen eines echten Wunders geworden waren und ihre sagenhafte Geschichte die Jahrhunderte überdauern würde. Nur ahnte niemand, was das Wunder noch mit ihnen vorhatte.
    Von den hohen Fenstern der Thronhalle aus beobachtete Alasar, wie die Soldaten des Königs Isdad verließen. In der Ferne, wo die Küsten sich wie spröde Lippen dem offenen Meer hin öffneten, verblassten die Männer zu winzigen Punkten.
    Alasar strich scheinbar gedankenverloren über den Schwertgriff an seinem Gürtel. Er wusste, dass die Berater des Königs ihn vom Tisch aus beobachteten, während sie über ihre Strategien und Pläne berieten. Der König selbst schlief noch, obwohl es schon Mittag war. In der vergangenen Nacht hatte er ausgiebig gefeiert; aus Kytena war die Nachricht des Sieges gekommen, und nun mussten alle in Isdad verbliebenen Streitmächte dorthin beordert werden, um das Eisenwerk gegen die Haradonen zu verteidigen. Zudem hatten Morgwyns neue Salzvorräte die Händler der Inseln angelockt und die Handelswege waren wieder geöffnet worden. Auch Söldner aus allen Winkeln des Kontinents befanden sich bereits auf dem Weg nach Isdad. Noch waren die Haradonen nicht besiegt und vertrieben, aber König Morgwyn war zuversichtlich genug, um die Hälfte von Isdads Weinlager zu vertrinken.
    Inzwischen waren die Soldaten des Königs hinter den Hügeln verschwunden. Höchstens hundertfünfzig Soldaten hielten sich noch in Isdad auf und dazu hundert von Alasars Windreitern … Erst in den kommenden Tagen würden die Söldner allmählich eintreffen.
    Die Türen öffneten sich und Tivam schlüpfte in die Halle. Er verbeugte sich vor den Beratern, die ihn belächelten, und lief zu Alasar. Einige Augenblicke lang standen sie schweigend nebeneinander und sahen aus dem Fenster, während die Berater ihr Gespräch wieder aufnahmen.
    »Wenn es so weit ist, holst du die anderen, verstanden?«, murmelte Alasar. »Alles hängt davon ab, wie schnell es passiert. Vielleicht unser Leben.« Tivam nickte. Wieder öffneten sich die Türen der Thronhalle, diesmal laut und donnernd: König Morgwyn war eingetreten.
    Er strich sich mit den Händen über den Bart und schob sich die Krone zurecht. »Ah, Alasar! Mein lieber Alasar.« Er breitete die Arme aus und ging an seinen Beratern vorbei, um Alasar herzlich an den Schultern zu ergreifen. »Wie geht es dir, mein treuer Freund? Nun sind wir wohl ganz alleine hier in Isdad, was? Aber ich sage dir: In zwei, drei Tagen stehen mehr als fünftausend Söldner unter meinem Befehl. Meine Generäle haben mir versichert, dass ganze Scharen

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