Das Drachentor
darstellte.
Nachdem Jale den zweiten, weniger blumigen Brief gelesen hatte, war sie um vieles beruhigter und schwärmte um Alasar herum, als sei er ihr Bräutigam. Sie scheute kein honigsüßes Wort, kein weiches Lächeln, keinen noch so großen Gefallen, um sich den künftigen König von Awrahell gewogen zu machen. Zwar würde bald ein anderer an ihrer statt die Krone tragen, doch Jale hatte nicht im Geringsten vor, ihm die Herrschaft zu überlassen. Sie hatte lange genug an Octaris’ Seite gelebt, um zu wissen, dass ein Mann in einer Machtposition alles andere als hinderlich war, um die Macht einer Frau zu stärken.
Ardhes sah Alasar nur bei den gemeinsamen Abendessen. Doch sie blickte kaum auf und sprach nicht - weder mit ihm noch mit sonst jemandem. Den Wolfsjungen schien es nicht zu kümmern. Ardhes war ihm so egal, wie Jale einst Octaris egal gewesen sein musste. Keine Hochzeit, ein politisches Bündnis stand bevor, und kaum jemand versuchte, diese Tatsache zu vertuschen. Ardhes war es recht. Schließlich hatte auch sie keine Hochzeit gewollt, sondern eine Rebellion.
Sie ließ sich von den Minuten, Stunden und Tagen vorwärtstreiben, wunschlos, richtungslos. Dann war eine Woche verstrichen und der Tag der Trauung stand bevor. Ardhes war in Schleier der Gleichgültigkeit gehüllt.
Der Thronsaal des Schlosses war in festlichem Weiß und Rot geschmückt. Zwei Chöre sangen Hochzeitslieder der Elfen und Menschen, während Ardhes und der Wolfsjunge nebeneinander den Weg zur Empore entlangschritten. Krieger und Soldaten waren ihre Hochzeitsgäste, dazu ein Grüppchen haradonischer Gesandter, die den myrdhanischen Bräutigam argwöhnisch beäugten.
Vor der Thronempore führten Ardhes und Alasar die Zeremonie durch, sprachen die nötigen Worte, teilten das Brot und tranken vom selben Kelch. Genauso gut hätten beide alleine dort stehen können, denn ihre Blicke trafen sich kein einziges Mal. Die Anwesenden riefen bedeutungslose Glückwünsche und Segen aus, dann kniete das frisch getraute Paar vor dem König nieder.
Octaris dankte offiziell ab, nahm die schwere Krone vom Kopf, die er in seinem Leben kaum getragen hatte, und setzte sie auf Alasars Haupt. Nun durften sie sich erheben; alle Anwesenden verbeugten sich und auch Octaris neigte den Kopf.
Alasar und Ardhes nahmen auf den Thronsesseln Platz. Der Chor setzte wieder ein.
Damit war Ardhes verheiratet. Und die Königin von Awrahell.
Candula hatte Tränen in den Augen, als sie Ardhes für die Nacht kleidete. Die dicke Amme tupfte ihr sorgfältig Gesicht und Hals mit einem Tuch ab, das in Rosenwasser getränkt war. Dann stellte sie ein Tablett mit Tee, Brot und kalten Fleischstreifen neben das Bett, falls Ardhes hungrig werden sollte.
»Habt Ihr noch einen Wunsch?«, fragte Candula zuletzt und faltete die Hände vor der Brust.
Ardhes betrachtete ihre Amme und plötzliches Heimweh überkam sie. »Candula -« Sie ließ sich wortlos von ihr umarmen und legte das Gesicht an ihren warmen Hals, der sie so an ihre Kindheit erinnerte. Candula streichelte ihren Rücken. Eine Weile schloss Ardhes die Augen und versuchte, sich in jene früheren Tage zurückzuversetzen, als sie jeden Abend in Candulas Armen gelegen hatte. Tagsüber hatte sie Eidechsen gefangen, war auf den Felsen vor dem Schloss klettern gegangen und hatte die Soldaten auf ihren Streifzügen beobachtet.
Für einen Augenblick glaubte Ardhes, sie müsse weinen, aber so war es nicht. Schließlich machte sie sich von Candula los und tätschelte ihren Arm. »Keine Sorge. Ich brauche nichts mehr.«
Candula nickte. »Soll ich noch mit Euch warten? Soll ich Euch die Schultern massieren?«
Ardhes setzte sich aufs Bettende und legte die Hände in den Schoß. »Du kannst gehen. Gute Nacht, Candula.«
»Gute Nacht«, hauchte ihre Amme. Ein Lächeln glitt über ihr gutmütiges Gesicht. Dann winkte sie ihr noch einmal zu und verschwand durch eine kleine Seitentür.
Stille legte sich über Ardhes. Einige Momente lang saß sie gedankenverloren da, dann blinzelte sie und sah sich im Gemach um.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie in einem anderen Zimmer schlief. Dieses war erwachsener, unpersönlicher. Ihr Bett war ein Hochzeitsbett und an der Wand gegenüber hingen kunstvolle Teppiche. Das Licht war gedämpft, denn nur zwei Öllampen standen links und rechts auf den Nachttischen. Ihr matter Schein spiegelte sich auf den roten, glockenförmigen Glasfenstern.
Ardhes fragte sich, ob der
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