Das Drachentor
mir die Bemerkung, edler Alasar, Führer der Höhlenkinder. Aber angesichts der gegenwärtigen politischen Lage ist Awrahell wohl kaum der richtige Ort für ein myrdhanisches Heer, um Anhänger zu finden.«
Alasar spießte ein Stück Braten auf seine Gabel. »Ich führe kein myrdhanisches Heer, Eure Majestät. Ich führe das Heer der Höhlenkinder.« Jale öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Wortlos nahm sie einen Bissen von ihrem Olivenbrot.
»Versteht mich nicht falsch, Eure Majestät«, sagte Alasar. »Wir stammen zwar aus Myrdhan, aber mit dem Königtum Myrdhans und dem Aufstand des alten Königs haben wir nichts zu tun.« Er trank einen Schluck Wein. »Außer vielleicht - indem wir dem Aufstand ein Ende gesetzt haben.«
»Und wie?«, erkundigte sich Jale.
»Indem ich König Morgwyn getötet habe.« Stille breitete sich aus.
Plötzlich hob Octaris seinen Kelch. »Dann haben wir Grund zu feiern«, sagte er tonlos. »Als der Held, der Myrdhans König vernichtete, werdet Ihr in Awrahell so viele Verbündete finden, wie Euch beliebt.«
Ein Lächeln huschte über Jales Lippen. »Doch was gedenkt Ihr mit so vielen Verbündeten zu tun, edler Alasar?«
»Gedenkt Ihr, Euch mit einem Königreich zu verbinden?«, fragte Ardhes. Sie wusste nicht, wieso ihr diese Frage herausgeplatzt war. Vielleicht nur um ihre Mutter zu ärgern. Oder vielleicht um Alasars Blick auf sich zu ziehen. Ihr Bauch kribbelte fast schmerzhaft, als er sich zu ihr wandte.
Er war ein Ahirah. Er würde die Welt erobern. Man sah es ihm an.
»Es haben sich mir bereits einige Söldner aus Methura, Arpolis und Salkand angeschlossen, wenn es das ist, was Ihr meint, Euer Majestät«, sagte Alasar langsam.
»Das meine ich nicht.« Ardhes beobachtete ihn eingehend. Sie erinnerte sich, wie groß sein Rachedurst früher gewesen war - ihr konnte er nichts vormachen. Er war hier, um Krieg zu führen. Um zu töten, zu erobern, zu vernichten. »Ich meine, ob Ihr vielleicht Frieden schließen wollt. Mit Haradon beispielsweise, durch eine Hochzeit.« Für einen Moment schienen ihm seine Züge zu entgleiten, offensichtlich hatte sie ihn aus dem Konzept gebracht.
Die Königin brach in unechtes Gelächter aus. »Ihr müsst meine Tochter Ardhes entschuldigen. Sie ist in dem gewissen Alter, in dem Mädchen an nichts anderes als das Heiraten denken können!«
Jale wusste ganz genau, dass das eine glatte Lüge war, doch es kümmerte sie nicht im Geringsten.
Ardhes spürte, wie ihr flau wurde vor Zorn. Alles stieg in ihr hoch; die Verlogenheit ihrer Mutter, ihre Affektiertheit, ihre kleinen, listigen Intrigen - und Octaris’ Schweigen, seine verfluchte Rätselhaftigkeit und sein hilfloser, milder Blick, hinter dem sich eine gemeine Freude daran verbarg, andere in die Irre laufen zu lassen. Sie sollten sehen, wohin ihre Ränkespiele sie brachten!
»Du hast recht, Mutter«, sagte sie mit einem kalten Lächeln.
»Ich träume wirklich vom Heiraten, Tag und Nacht, ich denke an nichts anderes, ich albernes Ding!« Sie wandte sich an Alasar. »Meine Mutter wünscht, dass ich einen starken Mann von menschlichem Geblüt zum Gatten nehme, der Awrahell beschützen kann. Mein Vater sprach oft davon, dass ich einem Mörder und Bauernsohn bestimmt sei. Oder nicht?« Octaris sah sie gleichgültig an. Jales Blick schien sie töten zu wollen.
Ardhes erhob sich. »Alasar, ich habe viel von Euch gehört. Ich kenne Eure Geschichte, denn mein Vater ist ein weiser Mann und hat sein Wissen mit mir geteilt. Nun glaube ich, den Grund für seine Großzügigkeit gefunden zu haben: Er hat diesen Augenblick vorhergesehen und … er sah mich für Euch bestimmt. Wenn Ihr um mich und den Thron von Awrahell werben wollt, wird mein Vater der König mit Freuden einwilligen.« Eine so entsetzliche Stille trat ein, dass Ardhes glaubte, selbst die Luft sei aus dem Raum gewichen. Sie schloss den Mund. Ihr Gesicht brannte.
Alasar lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Das Holz ächzte. »Ich habe keine Zeit für große Feste.« Seine Stimme schien wie ausgewechselt; sie klang laut und hart. Er hielt inne. Sein Blick glitt von Ardhes zu Königin Jale und Octaris. »Wenn Eure Majestäten abdanken und die Hochzeit gleichzeitig eine Krönung wird - dann will ich.«
Ardhes spürte, wie ihr Herz stockte. Unbewegt stand sie da, obwohl sie am liebsten davongerannt wäre.
Schließlich erhob sich Octaris. Ardhes sah ihn an. Das war der Augenblick, in dem er ihr beweisen konnte, was sie ihm bedeutete.
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