Das Drachentor
Er konnte ihr beweisen, dass er seine Tochter keinem Bauernjungen geben wollte, keinem Mörder - dass er etwas Besseres für sie wollte und allein aus diesem Grund verhindert hatte, dass Revyn ihr gehörte. Gebannt wartete Ardhes ab.
»Wenn es der Wunsch meiner Tochter ist, dann soll es so sein«, sagte Octaris leise. »Die Hochzeit soll unter den geforderten Bedingungen stattfinden.«
Jale schritt durch die offene Zimmertür und gab Ardhes ohne Vorwarnung eine Ohrfeige. »Närrin!« Sie zerrte Ardhes hoch und schüttelte sie heftig. »Du verdammte Närrin! Was hast du getan? Was hast du getan!« Ihre Gesichter waren sich gegenüber und Ardhes erwiderte den Blick ihrer Mutter aus leeren Augen. »War das abgemacht mit diesem widerwärtigen Elf? War das abgemacht zwischen dir und Octaris? Antworte!«
»Nein«, sagte Ardhes leise. »Aber er wusste es trotzdem.« Die Königin stieß ein Geräusch aus, halb Fauchen, halb Ächzen, und ohrfeigte Ardhes ein zweites und drittes Mal. Ardhes entwand sich ihrem Griff und stolperte benommen zurück.
Candula, die gerade dabei gewesen war, ihr die Haare zu kämmen, fing sie auf, aber Ardhes brauchte sie nicht. Mit zitternden Händen wehrte sie sie ab und drehte sich zu ihrer Mutter um. Jale trug noch ihr festliches Kleid und ihre aufwendige Frisur; offenbar war sie hergekommen, sobald sie Alasar und seine Krieger in ihre Schlafgemächer geleitet hatte. Das sah ihr ähnlich. Erst erfüllte sie ihre Aufgaben als gute Gastgeberin und Königin, dann kam der Rest.
»Es ist doch alles so gekommen, wie du es immer wolltest«, höhnte Ardhes. »Ich heirate einen Menschen. Mit viel Macht. Höhere Ansprüche hattest du nie.«
Jale massierte sich die Schläfen. Sie schien Ardhes gar nicht gehört zu haben und murmelte halblaut vor sich hin: »Was wird Helrodir sagen? Ich muss unbedingt einen Brief schreiben. Der Junge ist ein Myrdhaner, aber er kämpft nicht für sein Land. Was will er? Was will er bloß?«
»Wenn er mich heiratet, wird Myrdhan automatisch mit Haradon verbrüdert sein. Helrodir wird sich bestimmt freuen, wenn er deinen Brief erhält; so einfach hat er noch keinen Krieg gewonnen. Außer vielleicht, als er dich damals nach Awrahell geschickt hat.«
Jale starrte sie an. Dann kam sie langsam auf sie zu. Dicht vor ihr blieb sie stehen. »Wieso hasst du mich so? Was habe ich getan, dass du mir so viel Übel willst?«
»Ich hasse dich nicht. Ich bin nur so wie du.«
Die Königin kniff die Lippen zusammen. Dann legte sie eine Hand auf Ardhes’ Kopf und strich ihr über die Haare. Trotzdem zuckte Ardhes zusammen. »Ich wünschte, du könntest ein anderes Leben haben als ich«, sagte sie ganz leise. »Aber wer Verantwortung trägt, muss Opfer bringen. Vielleicht wirst du eines Tages eine Tochter haben und sie wird frei entscheiden können.«
Ardhes schnaubte verächtlich. »Politik wird es immer geben, erzähle mir keine Märchen. Ich bin kein Kind mehr.«
Jale ließ die Hand sinken. »Ja. Ich weiß.«
Ardhes drehte sich um und winkte Candula zu sich. Die Amme glitt zögernd näher, dann kämmte sie ihr die Haare weiter, als sei nichts geschehen. Schweigend stand die Königin daneben. Es sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, doch sie schluckte alle Worte hinunter. Schließlich ging sie zur Tür.
Dann blieb sie noch einmal stehen: »Bald wirst du Königin sein. Ich werde abdanken. Daran kann ich nichts mehr ändern, der König hat es vor Zeugen so beschlossen. Aber wenn du Königin bist, wirst du mich besser verstehen. Ich musste manches von dir verlangen und anderes verbieten, denn in diesem Leben sind wir alle Figuren auf einem Schachbrett. Trotzdem liebe ich dich. Mehr als irgendjemanden sonst.« Zögernd zog sie die Tür hinter sich zu.
Ardhes holte tief Luft. Erst jetzt wich die Taubheit aus ihren Wangen, und sie spürte, wie ihre Haut heiß und schmerzhaft zu pochen begann.
Was hatte sie getan? Was hatte sie getan …
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Das ganze Schloss war in Aufruhr, als die Hochzeit - und vor allem die kommende Abdankung von Königin Jale und König Octaris - bekannt wurde.
Aus Haradon kamen zwei königliche Briefe, einer offiziell, der andere heimlich und nur für die Augen der Königin bestimmt. Der offizielle Brief ließ verlauten, dass Haradon die Freude des jungen Brautpaares teile und einen Gesandten zur Hochzeit schicken werde, der, was nicht erwähnt wurde, gleichzeitig prüfen sollte, ob Alasar eine Gefahr
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