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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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erwidern. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er näher kam und ihre Mutter murmelnd begrüßte.
    Bei den Eingängen der Halle regten sich die Leibwächter. Zofen standen mit gesenkten Köpfen und verängstigten Blicken an der Wand. Ein Hüsteln erklang. Aus einem Flur war das Klappern der Tabletts zu hören, die darauf warteten, von einem Dutzend Dienern aufgetischt zu werden. Nie hatte Ardhes weniger Appetit gehabt. Sie bezweifelte, dass es irgendjemandem in der Halle anders ging.
    Dann hörten sie Schritte. Es waren viele Schritte, schwer und entschlossen, begleitet von Waffenklirren. Ardhes schloss die Augen. Die Schritte kamen immer näher. Dann tauchte eine Gruppe von Kriegern im Hauptflur auf, umgeben von einem Soldatentrupp aus Awrahell. Sie betraten die Halle. Bevor Ardhes ihnen ins Gesicht schauen konnte, neigte sie den Kopf und machte einen Knicks. Gleichzeitig verneigten sich ihre Eltern förmlich.
    Die fremden Krieger verbeugten sich ebenfalls. »Guten Tag«, sagte einer von ihnen. Ardhes musste unwillkürlich aufblicken, um zu sehen, wem diese glatte, leise Stimme gehörte.
    Ihr Herz verkrampfte sich. Sie erkannte ihn sofort - an etwas, das tiefer und stärker ist als ein Gesicht.
    Der Wolfsjunge. Der Junge aus Octaris’ Visionen. Der myrdhanische Junge, mit dessen Geschichte Ardhes aufgewachsen war.
     
    »Mein Name ist Alasar«, stellte der Wolfsjunge sich vor. Königin Jale war die Einzige, die diesen Namen zum ersten Mal hörte. »Ich bin der Führer der Männer, die vor Eurem Schloss lagern. Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft.« Wieder verneigte er sich.
    »Wir sind geehrt, Euch und Eure Männer empfangen zu dürfen«, sagte Königin Jale mit einem verkrampften Lächeln. Dann wies sie auf die Tafel. »Bitte. Nehmt Platz, Alasar. Bei Wein und Speise wollen wir Eure Geschichte hören.«
    Die Myrdhaner setzten sich und Ardhes’ Blick flog über ihre Gesichter. Es waren junge Männer und sogar eine junge Frau. Direkt neben Alasar setzte sich ein Junge, den Ardhes auf zwölf schätzte, der aber kräftig gebaut war und sehr ernst wirkte. Der Einzige, den man wirklich als Erwachsenen bezeichnen konnte, war ein älterer General, der sich am äußersten Rand der Gruppe niederließ und nicht recht zu den übrigen Kriegern zu gehören schien.
    Aus einem Seitenflur traten Diener mit Tabletts und Platten. Der Duft von Braten und frisch gebackenem Brot erfüllte die Halle. Zu den Fleischgerichten wurden gekochte Möhren, Erbsen und Bohnen serviert und die großen Brotlaibe waren gespickt mit Oliven und Rosinen. Dazu wurde eine ganze Platte süße Nachspeisen aufgetischt - geschälte Orangen und Mandarinen, getrocknete Feigen, glasierte Backäpfel und Walnüsse in Honigsoße. Jale hatte fürwahr nicht bescheiden gewählt.
    Nachdem alle Speisen vorgeführt und die Teller gefüllt waren, hob Königin Jale ihren Kelch. »Auf diesen Tag des Friedens! Mögen Awrahell und die neue Regierung Myrdhans eine Freundschaft eingehen, die beständiger ist als mit dem alten Königtum.« Jale beobachtete scharf, wie Alasar auf ihre Worte reagierte.
    Er hob seinen Kelch. »Auf Awrahell und die Höhlenkinder. Mögen wir die gleichen Ziele verfolgen.«
    Ardhes sah, wie ein verwirrtes Zucken um die Augen ihrer Mutter ging - sie wusste natürlich nicht, wer die Höhlenkinder waren. Nachdenklich spießte Ardhes eine Möhre auf ihre Gabel. Sie spähte zu Octaris hinüber - er saß mit ausdrucksloser Miene auf seinem Thron und aß. Er musste gewusst haben, wer der Führer des myrdhanischen Heeres war. Wieso hatte er nichts gesagt?
    Bitterkeit breitete sich in Ardhes aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass Octaris sein Wissen für sich behielt. In diesem Moment hasste sie ihn, und sie hasste ihn umso mehr dafür, dass er still und genügsam dasaß und sein Gesicht sanft wie das eines Heiligen war.
    »Ziele - wie schön, dass Ihr davon sprecht, edler Alasar. Darf ich fragen, welche Ziele Ihr Euch gesetzt habt?« Alasar erwiderte Jales Blick aus unergründlichen Augen.
    Augen wie finstere Höhlen, dachte Ardhes. Ihn in Fleisch und Blut vor sich zu sehen schien ihr, als wäre eine erfundene Gestalt zum Leben erwacht.
    »Mein Ziel ist es, der Führer der Höhlenkinder zu sein. Mit Stolz.«
    Jale zog eine Augenbraue hoch und lächelte. »Wohin seid Ihr unterwegs, wenn ich fragen darf? Aus welchem Grund reist Euer Heer durch unser schönes Awrahell?«
    »Ich suche Verbündete.«
    Jale machte ein erstauntes Gesicht. »Verzeiht

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