Das Drachentor
murmelte Yelanah. Revyn streckte beide Arme aus und berührte unebene Wände. Über ihnen waren Risse in der Felsdecke und ein matter Schimmer fiel herab. Schneeflocken schwebten in die Dunkelheit herein.
»Sieh mal da!« Er deutete voraus und lief auf etwas zu, das in einer Felsnische klemmte: eine Fackel. »Hier sind die Höhlenkinder gewesen.« Er holte zwei Feuersteine aus seinem Beutel und schlug sie gegeneinander. Funken sprangen.
Während Revyn die Fackel anzündete, blickte Yelanah zu den Rissen in der Decke hoch und rieb sich fröstelnd die Arme. »Wir müssen uns überlegen, wie wir die Dar’ hana befreien. Hier unten können wir nicht einfach wegf liegen, wie ich es damals in Logond gemacht habe.«
Das Licht der Fackel breitete sich im schmalen Gang aus. »Wir überlegen später, was wir tun. Hauptsache, wir finden die Drachen. Halt dich bereit, Yelan.« Revyn nahm die Fackel von der Wand und in ihrem Lichtschein gingen sie weiter.
Der Weg führte sie tiefer unter die Erde. Hin und wieder mussten sie über große Geröllbrocken klettern und sich durch schmale Pässe zwängen. Fledermäuse schliefen zu Tausenden an der Decke.
Dann wurde der Boden plötzlich eben und die Wände glatt. Revyn spürte, wie ihm flau wurde - alles erinnerte ihn an seine Gefangenschaft. Die engen Steinwände schienen ihn zu erdrücken und ihm die Luft zu nehmen.
Der Gang mündete in eine kleine Halle. Revyn und Yelanah blieben stehen. Krüge, Kleider, Holzscheite und Fackeln waren auf dem Boden durcheinandergeworfen. Ein Kessel war umgekippt und dunkle, getrocknete Brühe klebte auf einem Fellteppich. Zögernd traten sie näher.
Von irgendwo drang ein Windhauch in die Halle und rollte eine Fackel über den Boden. Auf einer Felserhöhung, zwischen Felldecken und zerschlissenen Kissen, lag eine reglose Gestalt.
Es war eine alte Frau. Ihr langes graues Haar umgab ihr ausgezehrtes Gesicht wie Spinnweben. Ihre Augen waren nur halb geschlossen und ihr Unterkiefer war seitlich aufgeklappt, sodass ihr Mund wie zu einem erschöpften Ruf geöffnet schien.
Yelanah murmelte leise Worte in der elfischen Sprache. Bei allen Geistern des Himmels und der Erde … möge sie in Frieden gestorben sein.
»Sie hat zu den Höhlenkindern gehört. Ich habe sie einmal mit Alasar gesehen«, murmelte Revyn.
»Wie es hier aussieht«, flüsterte Yelanah. Der Wind ließ die Fackel gegen eine zweite rollen. Ein dumpfes Kluck hallte in den fernen Gängen wider.
»Es sieht aus, als hätte man die alte Frau einfach hier zurückgelassen.« Die Fackel weit ausgestreckt, ging Revyn durch die Höhle und leuchtete in die angrenzenden Flure. »Jedenfalls sind wir ganz sicher im Reich der Höhlenkinder.«
»Welchen Gang sollen wir nehmen?«
Revyn sah eine Weile in die Dunkelheit. Dann deutete er mit dem Licht geradeaus. »Gehen wir hier lang. Aber stecken wir zuerst ein paar Fackeln ein. Wer weiß, wie lange die hier noch brennt.«
Sie füllten ihre Taschen mit den herumliegenden Fackeln und verließen die unheimliche Grabstätte. Hinter ihnen stieg die Finsternis über Igolas Leiche wie ein Ozean des Vergessens.
Lange wanderten Yelanah und Revyn den Gang entlang, ohne auf eine Abzweigung zu stoßen. Als sie zu müde wurden, um weiterzugehen, steckten sie ihre Fackel in einen Felsspalt, breiteten ihre Decken aus und legten sich auf den Boden. Revyn musste an die tote Frau denken. Er wusste, dass es Yelanah nicht anders ging.
»Weißt du, was ich tröstlich finde?« Obwohl er flüsterte, kam seine Stimme ihm unnatürlich laut vor; der lange Gang trug seine Worte weit.
»Was denn?«, flüsterte Yelanah zurück.
Revyn wechselte sicherheitshalber in die Sprache der Drachen über, auch wenn es ihn Mühe kostete, seine Gedanken jetzt in Bilder und Gefühle zu konzentrieren. Wenn wir und die Dar’hana verschwinden, dann nehmen wir unsere Körper wenigstens mit in die Welt der Unwirklichkeit. Ich will nicht, dass eines Tages mein Körper so daliegt, ganz seelenlos. Oder deiner … Er verstummte.
Yelanah drehte sich ihm zu und drückte seine Hände, wie um ihm zu beweisen, dass es noch nicht so weit war. Für die Elfen ist es wichtig, dass sie den Leichnam eines Verstorbenen bestatten können. So ist es bei den Menschen doch auch, oder? Nichts wäre schlimmer, als dich eines Tages so zu sehen wie die alte Frau. Deine Augen geschlossen und deine Wangen kalt. Sie schmiegte ihr Gesicht in seine Hand. Aber wenn du einfach verschwinden würdest, das wäre
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