Das Drachentor
Wolfsjunge überhaupt kommen würde. Sie wusste, dass ein zweites Gemach nebenan eingerichtet worden war, falls er sich entschließen sollte, allein zu bleiben. Das war bei Ehen dieser Art keine Seltenheit.
Die Zeit verstrich. Alasar war wahrscheinlich noch unten beim Festessen mit seinen Kriegern.
Ardhes lehnte den Kopf gegen den Bettpfosten und döste ein. Erinnerungen an die Geschichte zogen durch ihre Gedanken, die Octaris ihr früher erzählt hatte. Nie, niemals hätte sie angenommen, dass das Schicksal sie so mit dem Wolfsjungen zusammenführen würde … Aber nein - Schicksal? Daran glaubte sie nicht mehr. Sie hatte einen myrdhanischen Aufrührer geheiratet, weil sie es selbst entschieden hatte, aus Trotz, aus Zorn. Mit Schicksal hatte das nichts zu tun.
Dann hörte Ardhes Schritte im Flur. Es ist Candula, sagte sie sich.
Die Schritte waren schwer, aber langsam - zögernd fast. Ein Soldat, der Wache hält, dachte Ardhes. Nur ein Soldat.
Die Schritte kamen an der Tür vorbei. Dann blieb die Person stehen. Ardhes hörte ihren eigenen Herzschlag in den Schläfen pochen. Die Schritte kamen zurück und die Türklinge wurde heruntergedrückt.
Ardhes nahm den Kopf vom Bettpfosten und blinzelte - sie redete sich ein, müde zu sein. Aber ihr rasender Puls und ihre feuchten Handflächen straften sie Lügen.
Die Tür schloss sich und Alasar trat auf sie zu. Ardhes wurde bewusst, wie sie wirken musste, mit gesenktem Gesicht auf dem Bett sitzend wie eine fromme Statue. Augenblicklich erhob sie sich und sah Alasar in die Augen.
Er stand nur ein paar Schritte von ihr entfernt. Sein Blick war unergründlich. Aber die Angst, die Ardhes erwartet hatte, kam nicht; stattdessen stieg eine tiefe, alles dämpfende Ruhe in ihr auf.
Alasars Hand lag am Griff seines Schwertes. Es sah nicht aus, als hätte er vor, die Waffe abzulegen. Fast freundlich sagte er: »Ich habe nicht dich, sondern Awrahell geheiratet. Weil ich Haradon hasse.«
Ardhes war nicht im Geringsten erschüttert. »Und ich habe Myrdhan geheiratet«, erwiderte sie fest. »Weil ich die Elfen hasse. Und Haradon.«
Alasar runzelte leicht die Stirn. »Du hasst deine eigene Familie?«
Sie schnaubte verächtlich. »Was ist das, Familie? Mein Vater ist der Cousin meiner Mutter und meine Mutter will das Volk ihres Gemahls ausrotten. Erzähle mir nichts von Familie. Ich hasse Haradon, weil ich meine Eltern hasse, und die Elfen hasste ich schon, als ich noch glaubte, ihr Blut in mir zu tragen.« War Alasar näher gekommen? Oder hatte sie einen Schritt auf ihn zu gemacht, ohne es zu merken? Er stand ihr dicht gegenüber, und ihr wurde klar, es war das erste Mal, dass sie wirklich ein Gespräch miteinander führten.
»Du hasst aber ziemlich viel«, bemerkte er. »Was bleibt dir noch zum Lieben?«
»Ich weiß nur, was ich hasse.« Ardhes schluckte und musste sich abwenden. Bei allen Göttern - vor ihr stand ihr Ehemann. Sie war tatsächlich verheiratet. Es kam ihr vor, als hätte sie die letzten Tage geträumt.
»Dann … liebe doch den Hass«, sagte Alasar leise. »Liebe Myrdhan.« Sie spürte, dass sein Gesicht ihrem nahe war. Ihre Haare zitterten in seinem Atem. Seine Fingerspitzen berührten den Ärmel ihres Nachthemds kaum merklich. Dann wich er abrupt zurück und drehte sich um. Ardhes stand reglos auf der Stelle. Erst als die Tür geschlossen wurde, sah sie auf.
Eine Weile blieb sie stehen, ohne sich bewegen zu können. Sie war alleine. Im Zimmer nebenan fiel die Tür ins Schloss. Sonst verirrte sich kein Geräusch zu ihr.
Schließlich löschte sie die beiden Lampen und legte sich vorsichtig aufs Bett. Mit weit offenen Augen wartete Ardhes auf den Schlaf.
Dunkle Pfade
Seit vier Tagen hielten Yelanah und Revyn sich immer nordöstlich und reisten durch die Einöden Myrdhans. Hin und wieder sahen sie in der Nähe Dörfer. Einmal preschte eine Gruppe haradonischer Krieger nicht weit entfernt vorbei, doch der flimmernde Schneefall verbarg Yelanah und Revyn.
Eines Abends, als sie sich unter einem Felsvorsprung schlafen legen wollten, entdeckte Yelanah eine Höhle. Die Dunkelheit ließ sie kaum etwas erkennen und sie tasteten sich vorsichtig in die Tiefe. Der Wind heulte unheimlich in dem feuchten, finsteren Schacht.
»Ich glaube, ein Weg führt tiefer unter die Erde«, sagte Yelanah, die voranging. »Hier ist keine Felswand.« Er hörte, wie sie niederkniete und weiter unten auf die Erde sprang. Vorsichtig folgte er ihr.
»Das fühlt sich wie ein Gang an«,
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