Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
Der alte Mann bemerkte ihn nicht. Tränen liefen über sein graues Gesicht.
    Dann sah Revyn den Drachen hinter ihm liegen. Das Schwert glitt ihm aus der Hand; mit einem erstickten Luftschnappen stürzte er an Meister Morok vorbei und fiel neben Palagrin in den Schnee.
    »Palagrin! Nein, o nein, nein … Kämpf dagegen an! Kämpf doch!« Noch während Revyn schrie, sah er ein, dass es sinnlos war. Palagrins blutüberströmter Körper war so durchscheinend geworden, dass Revyn den Schnee unter ihm sehen konnte. Als er seine zitternden Hände an Palagrins Hals legte, zerfiel sein Fell in Wolken aus Staub.
    Du musst nichts bereuen, flüsterte Palagrin. Du hast mein Leben verlängert … dir muss nichts leidtun. Ohne dich hätte ich meinen Geist vor langer Zeit schon verloren. Du hast mein Herz bewahrt … jetzt ist alles gut. Ist alles gut.
    »Es ist meine Schuld«, schluchzte Revyn. »Wenn ich Alasar nicht … wäre es nie zu diesem Krieg gekommen, hätten die Tore sich nicht geöffnet und - und -« Seine Worte verloren sich in noch heftigeren Schluchzern. Verlass mich nicht, Palagrin … du darfst dem Ruf der Unwirklichkeit nicht folgen!
    Hier ist kein Platz mehr für uns. Wir müssen fort und unsere Welt mit uns.
    Nein …
    Niemand kann das Voranschreiten der Zeit, das Ende der Nacht und den Anbruch des neuen Tages aufhalten. Wenn die Sonne steigt … dann löst sich Nebel auf in Luft. Ich habe keine Angst vor dem, was uns erwartet. Erinnere dich an uns.
    Revyn sah Palagrin in die Augen. Mit jedem Herzschlag schien das Licht in ihnen ferner zu werden. Sein Körper war kaum noch sichtbar. Revyn legte das Gesicht dicht an Palagrins Nüstern. Allmählich verebbte der sanfte Atem des Drachen.
    Der Ruf der Unwirklichkeit kribbelte in seinen Gliedern. Als er seine Hände sah, bemerkte er, dass sie heller waren als sonst. Eine Art Schimmer lag über seiner Haut. Revyn wehrte sich nicht mehr dagegen. Wenn es das Schicksal der Drachen war, zu verschwinden, würde er mit ihnen die Welten wechseln. Und Yelanah? Würde Revyn sie wiedertreffen, dort wo es weder Zeit noch Ort gab?
    Panik krallte sich in sein Herz. Nein, das durfte nicht ihr Ende sein, nicht so! Ist Yelan in der Unwirklichkeit? Kann ich sie dort finden, Palagrin?
    Eine Schwertklinge fuhr durch Palagrins Kopf. Revyn schrie. Lichtschimmer quollen auf und zerfielen in der Luft zu glänzenden Funken. Palagrin hatte sich aufgelöst.
    Das Schwert wurde wieder aus dem Schnee gerissen und Revyn drehte sich um. Meister Morok hatte sich wie ein Monster über ihm aufgebaut. In seinem Gesicht spiegelte sich blanker Irrsinn.
    »Du hast es getan!«, brüllte er gegen den Wind. »Du hast es getan! Elfenzauber!« Er hob das Schwert und ließ es auf Revyn niedersausen. Revyn wich zu spät zur Seite. Er spürte, wie die Klinge seine Kleider durchschnitt und sich in seine Schulter grub. Sofort schoss Blut hervor und floss ihm unter seinem Wams über Brust und Rücken. Er glaubte durch einen Tunnel aus Licht und Schatten zu stürzen. Meister Morok zog das Schwert heraus und setzte zu einem tödlichen Streich an. Revyn blieb reglos liegen.
    Plötzlich erschien eine blutige Speerspitze in Meister Moroks Brust. Der alte Soldat würgte. Das Schwert glitt ihm aus den Händen und fiel dumpf neben Revyn in den Schnee. Seine Arme und Beine zuckten, dann stürzte er auf die Knie und kippte mit dem Gesicht zu Boden. In seinem Rücken steckte der Speer eines Myrdhaners.
    Revyn konnte kaum mehr etwas erkennen. Wie durch einen dichten gelben Vorhang sah er, wie der myrdhanische Soldat seinen Speer aus dem Toten zog und über ihn hinwegstieg. Sein Blick streifte Revyn. Er musste ihn für tot halten.
    Vielleicht war Revyn so gut wie tot. Seine Knochen fühlten sich an, als wären sie zerfallen. Doch der Schwerthieb hatte den Ruf der Unwirklichkeit geschwächt; Revyn spürte seinen Körper wieder, nun da der Schmerz ihn heiß und glühend durchwälzte.
    Vor seinen Augen strömten leuchtende Farben in einen tiefen Strudel. Der Ruf der Unwirklichkeit rang mit seinem Tod, Revyn spürte es; der Sog von zwei Welten zerrte an ihm. Er wollte sich beiden widersetzen. Nicht aus Angst. Das Einzige, was er wollte, war, Yelanah nicht zu verlieren. Wenn er verschwand, dann mit ihr zusammen. Wie sollte er sie in der Unwirklichkeit sonst wiederfinden?
    Er rang nach Luft. Und Palagrin - er würde ihm folgen, aber noch nicht jetzt. Noch nicht …
    Zitternd klammerte er sich an die Wirklichkeit.
     
    Alasar hielt sein

Weitere Kostenlose Bücher