Das Drachentor
die Fensterläden auf klappte und beobachtete, wie im Dorf Gestalten mit Fackeln umherliefen. Offenbar hatte der Händler mehr als zwanzig Männer anwerben können. Eigentlich wunderte es Revyn nicht. Im vergangenen Jahr war das Wetter sehr schlecht gewesen - im Sommer hatte eine lange Dürre geherrscht und im Herbst war Hagel gefallen -, sodass die halbe Ernte ausgefallen war. Viele Dorfbewohner litten Hunger. Für die jungen Männer, die mit den Soldaten nach Logond ziehen wollten, schien Krieg immer noch besser als die Armut zu Hause.
Manche dachten bestimmt auch an das große Abenteuer. Das Leben im Dorf konnte eintönig und langweilig werden; man arbeitete vom Frühling in den Sommer hinein, sah den Herbst schon Wochen vorher nahen und überstand den Winter, nur um sich wieder auf den Frühling vorzubereiten, Jahr für Jahr. Aber das Leben eines Kriegers - das schien aufregend, konnte sich von Tag zu Tag ändern und forderte die Launen der Götter heraus. Junge Männer, die so ein Leben suchten, stürmten immer in irgendwelche Kriege und fanden am Ende des Abenteuers die Umarmung mit dem Tod.
Nach einer Weile schloss Revyn die Fensterläden wieder und legte sich schlafen.
Er verbrachte den nächsten Tag im Bett. Manchmal hörte er nahe Rufe von den Männern, die sich für ihre Abreise vorbereiteten, dann wieder war es so still, als stünde die Hütte am Rand der Welt, und nur ein paar Krähen, die auf dem Strohdach saßen, krächzten und flatterten mit den Flügeln.
Revyn wälzte sich herum. Er hatte Hunger und fühlte sich gleichzeitig so lustlos, als könne er nie wieder etwas essen. Schließlich stand er auf und aß ein hartes Stück Brot. Dann trank er aus dem verbeulten Eimer, in den gestern das Regenwasser durch eine undichte Stelle im Dach getropft war, und sah sich in der Hütte um. Er hatte nichts mehr zu tun.
Langsam begann er zu bezweifeln, dass es richtig gewesen war, den Händler zu beleidigen. Sicher hatte er es verdient - aber im Nachhinein kam es ihm nicht sehr klug vor. Für diesen kurzen Augenblick aufrichtigen Hasses hatte er die Arbeit verloren, von der er lebte … Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht, als könne er die Sorgen so vertreiben. Was geschehen war, war geschehen. Es hatte keinen Sinn, sich Vorwürfe zu machen!
»Mach dir nie Vorwürfe, wenn du an die Vergangenheit denkst«, hatte Miran ihm einmal gesagt. »Manche Dinge tut man, weil man sie tun muss.«
Sie hatten hinter dem Haus in ihrem Gemüsebeet gearbeitet. Revyn jätete das Unkraut, während Miran die Kartoffeln in einen kleinen Korb legte. Es war ein besonders warmer Tag, obwohl ein kräftiger Westwind wehte und bauschige Wolkenfetzen über den Himmel trieb wie ein unsichtbarer Hirte seine Schafe.
»Weil man sie tun muss«, wiederholte Revyn nachdenklich, während er beobachtete, wie eine Wolke über ihrer Hütte aufzog und das Beet in kühlen Schatten tauchte. Miran hatte viele Dinge gesagt, die Revyn als klug und weise empfunden hatte, aber an diesen Satz erinnerte Revyn sich noch Jahre später. Vielleicht weil es einer der letzten im Leben seines Bruders war.
»He! Träum nicht wieder!« Miran warf einen kleinen Erdklumpen nach ihm.
»Blödmann!« Revyn zuckte zusammen und machte sich mit einem Lächeln wieder an die Arbeit. Obwohl er nicht mehr aufblickte, spürte er, dass Miran ihn beobachtete.
»Du bist wirklich ein Träumer«, sagte er, aber es klang nicht tadelnd, sondern liebevoll.
Revyn sah flüchtig zu ihm herüber. »Wenn man manche Dinge tut, weil man sie tun muss - meinst du dann auch, dass du dich vor Mama stellen musst, weil du eben anders nicht kannst?«
Mirans schmales Gesicht schien sich verdunkelt zu haben, obwohl er keine Miene verzog. Konzentriert begutachtete er jede Kartoffel und schabte die dunkle Erde ab, bevor er sie in seinen Korb legte. »Ja, das meine ich. Ich meine aber auch, dass du dich verstecken musst, wenn Papa wieder so ist.«
Revyn erwiderte eine Weile nichts. Schweigend gingen sie ihrer Arbeit nach. »Aber er hat doch nur einmal …«
»Ein blaues Auge reicht.«
Revyn schaute seinen Bruder an. »Und was ist mit dir? Erst die Flecken am Rücken und jetzt das an der Stirn …«
»Das ist nur ein Kratzer. Ich bin älter als du, und jetzt hör auf, davon zu reden. Ich will ja nur … Es reicht mir schon mit Mama, ich brauche nicht zwei Leute, die mich anbetteln. Bleib ihm einfach fern. Verstanden?«
Kaum hatte er das gesagt, hörten sie, wie vorne die Tür
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