Das Drachentor
doch seine Zunge konnte ihn nicht formen. Er wusste nicht, wie man ihn aussprach; aber er fühlte den Klang des Namens irgendwo in seinem Inneren … er war ein heißes Rieseln in seiner Brust, ein Flüstern in seinem Kopf. Die Nebel krochen über seine Haut, kamen ihm so nahe, dass sie mit seinem Puls erzitterten. In den Nebeln war etwas. Jemand. Revyn spürte kribbelnden Atem am Nacken, spürte, wie jemand ihm etwas zuflüstern wollte. »Woher wusstest du, dass er Palagrin heißt? Und weißt du, wie ich heiße? Mein Name …«
»Revyn!« Erschrocken fuhr er auf. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Kurz wusste Revyn nicht, wo er war, bis er Palagrins dunklen Augen begegnete. Sie waren direkt auf ihn gerichtet.
Er hat meinen Namen gerufen, durchschoss Revyn ein verwirrter Gedanke, der Drache hat meinen Namen gerufen! »Palagrin?«, flüsterte er. Im Schein der Glut, die vom Lagerfeuer übrig geblieben war, schimmerten unruhige Lichter in den Drachenaugen.
Etwas ist hier. Revyn starrte Palagrin an. War er übergeschnappt oder hatte der Drache gesprochen? Nein, unmöglich. Er konnte sich auch an keine Stimme erinnern, natürlich. Nur an die Worte … Etwas ist hier.
Revyn setzte sich langsam auf. Der Schlaf glitt von ihm ab wie eine Decke und allmählich erwachten seine Sinne wieder.
Der umliegende Wald war dunkel und still, abgesehen von den dreißig schnarchenden Männern. Und doch war irgendetwas anders als vorher. Es dauerte einen Moment, ehe Revyn begriff: Im Schein des Feuers sah er den Nebel, der einen Fußbreit über dem Boden waberte. Es war feucht und kühl geworden.
Schließlich legte Revyn sich wieder hin. Er hatte bloß geträumt. Er zog die Knie dicht an den Körper und schlang die Arme darum. Die Kälte, die Dunkelheit, das feuchte Moos unter ihm, alles erinnerte ihn an die vergangene Nacht.
Er wollte die Augen fest schließen, aber dadurch würden die Bilder nicht verschwinden, im Gegenteil. So lag er reglos da, mit leerem Blick, kämpfte gegen seine Gefühle an und gegen die Vergangenheit. Wenn er versuchte, nicht an die letzte Nacht zu denken, kehrte Miran zu ihm zurück, der neben dem Schürhaken lag … Wenn er versuchte, nicht an Miran zu denken, sah er seine Mutter … Egal wohin er sich flüchten wollte, der Tod folgte ihm in jede Erinnerung, durch alle Jahre, in jeden Sommer. Er klammerte die Hände um seine Schultern. Der Schlaf erlöste ihn nicht.
Frühmorgens brach die Reisegruppe wieder auf und die Männer wanderten schweigend durch die Wälder. Revyn fühlte sich erschöpft und allem fern, als Palagrin ihm auf seinen Rücken half.
Die Umgebung veränderte sich. Es war, als seien sie in ein noch verwunscheneres Reich vorgedrungen als am Vortag. Ein Reich, das nicht mehr den Tieren des Waldes gehörte und schon gar nicht ihnen. Auch die anderen schienen es zu spüren - nur so war die beklemmende Stille zu erklären. Der Tag hüllte sich in bleiche Nebel, der die Ferne wie ein Trugbild verschwimmen ließ. Sie aßen zu Mittag, ohne eine Rast einzulegen.
»Wir sollten uns beeilen«, erklärte Meister Morok und gab, wie um seine Worte zu bekräftigen, seinem Drachen die Sporen. »Die Wälder hier sind tückisch … man erzählt sich von elfischen Dieben … Nun, bevor die Nacht anbricht, können wir bereits in Logond sein.«
Die Stunden verstrichen. Langsam schwand das spärliche Licht, und die Sonne sank wie ein schläfriges Auge, das schließlich zufiel.
Revyn nahm in der abendlichen Dämmerung kaum wahr, wie sich die Bäume lichteten. Erst als Palagrin unmittelbar aus dem Wald trat, blickte er auf und sah sich überrascht um.
Vor ihnen lag eine Lichtung. Dahinter erkannten sie Lichter, verstreutem Goldstaub gleich, der ihnen zufunkelte. Die Umrisse von Bauernhöfen und Hütten traten aus der Dunkelheit. Und dahinter, wie ein großer Bruder, der über die Dörfchen wachte, eine riesige Stadt.
Logond
Palagrin schnaubte unruhig, als er den anderen Drachen und Pferden zum mächtigen Stadttor folgte. Links und rechts stachen Holzpflöcke aus der Wehrmauer hervor. Grobe Klötze schienen an den Stangen zu stecken … Erst im Näherkommen erkannte Revyn, dass es Köpfe waren, aufgespießte Köpfe. Sie starrten ihn aus fauligen Augen an.
»Spione Myrdhans«, murmelten die Männer um Revyn herum. Tatsächlich waren einige der Toten dunkelhaarig und entsprachen dem Bild, das die Männer von den Myrdhanern hatten. Aber da waren auch Köpfe, die anders aussahen. Ihre Haut schien sehr
Weitere Kostenlose Bücher