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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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viel heller, die Schädel schmaler … spitze Ohren ragten aus wirren Haarschöpfen. Revyn schluckte schwer. Aus irgendeinem Grund hatte er plötzlich das Gefühl, als starrten die Toten ihn an. Als würden sie es wissen … Die Toten kennen die Geheimnisse der Lebenden, ging so nicht ein Sprichwort? Revyn wandte taumelnden Herzens den Blick ab.
    Von den Wachtürmen aus hatte man ihre kleine Gruppe bereits entdeckt und die Holztore wurden von vier Soldaten geöffnet. »Seid gegrüßt!«, rief man ihnen entgegen, und die Männer grüßten zurück. Hinter ihnen wurden die Tore wieder geschlossen.
    Große Häuser lagen vor ihnen. Eine breite Straße, die von vielen Fackeln erhellt wurde, führte vom Tor aus in die Stadt. Die Gruppe folgte den beiden Drachenhändlern die Straße hinauf. Aus den Fenstern mancher Häuser strahlte helles Licht. Revyn erspähte eine junge Frau, die am Fenster saß und las, und aus einem anderen Haus drang schallendes Gelächter. Aus der Ferne hallte Lärm, seltsam verzerrt von den hohen, dicht gedrängten Gebäuden.
    Sie bogen bloß um eine Straßenecke, doch Revyn kam es vor, als seien sie plötzlich in eine fremde Welt geraten: Farbige Laternen hingen über den Hauseingängen und beleuchteten Frauen mit roten Lippen, die laut und derb miteinander scherzten. Zwischen ihnen waren auch Männer in dunklen Kleidern oder Uniformen. Überall zischte, dampfte und brutzelte es, denn in jeder Gasse, jeder Hausöffnung, jedem Kellerloch befand sich eine Garküche. Aus den schweren eisernen Kesseln wurde unaufhörlich herausgeschöpft und nachgegossen, Münzen klimperten, Köche stritten, Blech stieß gegen Blech, jemand verbrannte sich die Finger und fluchte laut.
    »Alle zusammenbleiben!«, rief Meister Morok zu den verwunderten Männern zurück. Zu den Soldaten sagte er: »Passt auf die Drachen auf!«
    Sie folgten verwinkelten Straßen und Gässchen, bis keiner von ihnen mehr zu wissen schien, woher sie gekommen waren. Alles war fremd und neu und doch blieb es in jeder Straße immer gleich bunt, laut und wirr. Aus den Fenstern, vor die Tücher gespannt waren, plätscherten Musik und mehrstimmiger Gesang. Der Geruch von heißem Fett, Schweiß und Bier machte die Luft schwer. Revyn starrte mit angehaltenem Atem um sich. Er konnte sich gar nicht an allem sattsehen. Ihm war, als sei das ganze Leben der Welt in den verstopften Straßen zu Hause.
    »Oh, na sieh mal an!«, riefen die Frauen, an denen sie vorbeikamen. »Naaa, wohin des Weges, edle Herren?« Sie machten Knickse, die viel zu tiefe Einblicke gewährten. Irgendetwas an den Neuankömmlingen schien die Frauen zu amüsieren und sie kicherten und lachten hinter seidenen Fächern.
    Revyn spürte, wie die Blicke der Frauen auch über ihn hinwegglitten, und er kam sich zwischen all dem Lärm und den umherschlendernden Menschen seltsam entblößt vor.
    »Lasst mir ja meine Männer in Ruhe!«, rief Meister Morok den Frauen zu und lachte.
    Die anderen aus dem Dorf staunten genau wie Revyn über die neue Umgebung. Ihre offenen Münder und gaffenden Augen verrieten, dass sie ihr Leben in der Einöde verbracht hatten, und Revyn beschloss, ab jetzt teilnahmslos geradeaus zu schauen, um nicht denselben Eindruck zu erwecken.
    Doch der Lärm und das Durcheinander ebbten schlagartig wieder ab und bald umgaben die Männer dunkle, schlafende Hausfassaden. Nur ein streunender Hund kreuzte ihren Weg, und einmal glaubte Revyn Gestalten in den Schatten der Mauern zu sehen, doch sie hielten sich verborgen - die Stadt war hier so ruhig, als existierte das bunte Viertel ein paar Straßen weiter gar nicht. Kurz darauf endete die Straße vor einer mächtigen Treppe. So weit man in die Dunkelheit sehen konnte, zog sich die Treppe in die Höhe; es musste so etwas wie eine Stadtgrenze sein. Hier und da waren auf den Stufen Wachen postiert, doch sie ließen die Gruppe passieren, nachdem Meister Morok ein paar knappe Worte mit ihnen gewechselt hatte.
    Je näher sie dem obersten Treppenabsatz kamen, desto neugieriger wurde Revyn darauf, was jenseits der Stufen lag. Schließlich sprang Palagrin das letzte Stück empor. Vor ihnen eröffnete sich ein Platz, auf dem mehrere Baracken nebeneinanderstanden.
    »Hier sind wir!« Meister Morok lenkte seinen Drachen vor die Männer. »Was ihr seht, ist der Stadtteil der Krieger von Logond. Die meisten Soldaten von Haradon werden hier ausgebildet, und es ist eine Ehre, neben diesen Männern zu leben und sich einer von ihnen nennen zu

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