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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Händler musterte ihn, als glaube er ihm nicht recht. »Du wirkst ein wenig bleich, Junge. Was auch immer geschehen ist, du solltest nicht mehr daran denken. In Logond wartet ein neues Leben auf dich … du wirst schon sehen.« Damit drehte er sich um und kehrte zu den anderen Männern zurück.
     
    Das erste Mal seit seiner Flucht dachte Revyn wirklich darüber nach, was ihn erwartete. Er würde nach Logond gehen. Und dort leben, als wäre er nie woanders gewesen, bis er in den Krieg ziehen und sterben würde. Vorausgesetzt niemand erfuhr von dem, was er getan hatte … Aber selbst wenn, würde das nur noch einen geringen Unterschied machen. Entweder starb er auf dem Schlachtfeld oder am Galgen.
    Behutsam strich er durch Palagrins weiches grünliches Fell. Wie in der Nacht schon hatte der Drache ihm nach der Mittagsrast von sich aus auf den Rücken geholfen, ganz ohne Schlaufe. Revyn war wohl der Letzte, der wusste, wieso.
    Mit gespanntem Blick hatte Meister Morok verfolgt, wie ungeschickt Revyn auf den Schwanz des Drachen gestiegen war und sich hatte hochheben lassen, und auch danach hatte er ihn noch eine geraume Weile angestarrt.
    Revyn fragte sich, was der Händler wohl über ihn dachte. Wenn er sich erinnerte, wie er sich in Meister Moroks Gegenwart verhalten hatte - erst in der Scheune, dann in Barims Haus und jetzt hier im Wald, wo er wie aus heiterem Himmel erschienen war -, kam er sich selbst wie ein Verrückter vor. Doch Meister Morok schien das alles nicht annähernd so zu verwundern, wie Revyn angenommen hätte. Als hätte er alles so erwartet … Revyn fühlte sich ziemlich unwohl bei diesem Gedanken.
    Zur Abenddämmerung hielten sie an. Die Männer entfachten ein großes Lagerfeuer, das Funken in die Luft spuckte und ihre Runde in warmes Gold tauchte. Ein paar Dorfbewohner erzählten Geschichten und Märchen, aber Revyn fühlte sich jetzt nicht danach, unterhalten zu werden, und auch die Soldaten und die beiden Händler zeigten kein großes Interesse. Davon ließen sich die Erzähler ihren Spaß nicht nehmen. Sie lachten und scherzten und schienen keinen Gedanken an das Ziel und den Zweck ihrer Reise zu verschwenden.
    Bald schon rollte sich Revyn auf dem Moos ein, das ein paar Schritte abseits des Feuers und der lärmenden Gruppe die Erde überzog. Palagrin, der als einziger Drache nicht festgebunden war, weil er kein Zaumzeug hatte, war unter eine große Zeder gelaufen. Von dort beobachtete er nun Revyn und Revyn beobachtete ihn. Jeden Moment könnte der Drache in die Dunkelheit davonpreschen und nie wiederkehren … Nichts hielt ihn auf.
    Bitte, dachte Revyn immer wieder. Geh nicht weg. Geh nicht ohne mich …
    Palagrin wandte den Kopf in die andere Richtung und sah in den dunkler werdenden Wald. Lange stand er unter der Zeder, als dächte er nach, während die Nacht über ihnen hereinbrach. Dann ließ der Drache sich nieder und schnaubte. Es klang wie ein schweres Seufzen.
    Revyn konnte nicht anders, als zu lächeln. Er legte den Kopf auf die Arme und betrachtete ihn. »Palagrin …« Dann begleiteten das Prasseln des Feuers und die lachenden Stimmen ihn sanft in den Schlaf.
    Träumte er schon? Plötzlich stand Revyn allein in der Dunkelheit des Waldes. Das Lagerfeuer, die anderen Männer waren ganz plötzlich verschwunden. »Palagrin?«
    Auch er war nirgends zu entdecken. Doch - da war etwas! In der blauen Dämmerung glaubte Revyn einen Umriss zu sehen. Der Drache trug keine Gurte. Seine Flügel waren aufgerichtet wie geöffnete Fächer. Er verweilte kurz auf einer fernen Lichtung und sah Revyn an; dann legte er die Flügel an und setzte mit langen Sprüngen davon.
    »Palagrin, warte!« Revyn rannte hinter ihm her. Das weiche Moos federte seine Schritte ab, er war beinahe so schnell wie der Drache. Er wusste nicht, ob Palagrin wollte, dass er ihm nachlief, aber er konnte nicht anders. Der Gedanke, ihn zu verlieren, wieder ganz allein zu sein, war unerträglich. Außer Palagrin hatte er niemanden mehr. Und er wollte niemand anderen! Der Drache und er, sie waren sich ähnlich, sie gehörten zusammen. Die Traurigkeit, die in den weichen, dunklen Augen schwamm, war dieselbe Traurigkeit, die Revyn erfüllte.
    Plötzlich stiegen Nebel aus dem Boden. Die Schwaden schlossen sich wie Wände um ihn. Im bleiernen Dunst glaubte Revyn noch einen Drachen zu sehen - und da noch einen und noch einen. Sie waren überall und doch verschwunden, sobald Revyn sich nach ihnen umdrehte.
    Er wollte Palagrins Namen rufen,

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