Das Drachentor
Fliegen vertreiben. Er wollte niemanden in seiner Nähe haben.
Lange schleppte er sich durch die Straßen, bis die bunten Lichter, die Garküchen und Schänken endlich hinter ihm zurückblieben. Er tauchte glücklich in die Dunkelheit ein, schlich vorbei an raunenden und lachenden Menschen. Er stolperte über Abfälle, die die Straßen säumten, und über murrende Gestalten, die dazwischen lagen. Bald erklomm Revyn die erste Treppe mit Händen und Füßen. Als er oben war, stellte er verdutzt fest, dass der Himmel nicht mehr schwarz war, sondern stahlgrau.
Endlos lang erstreckten sich die Baracken der Soldaten in die Ferne. Revyn seufzte, als er einen Fuß vor den anderen setzte. Es schien ihn mehr Kraft zu kosten als die Arbeit des letzten Tages. Und immer wenn er nur für einen Augenblick ausruhen wollte, knickten seine Beine ein.
Als er das nächste Mal aufsah, stand er am Fuß der zweiten Treppe. »Ich bin fast da!«, murmelte er froh und streckte die Hand aus. Plötzlich kam er ohne jede Mühe voran. Er sah an sich hinab. Verblüfft entdeckte er zwei Hände, die ihn unter den Armen gepackt hielten und hochzerrten. Dann erblickte er seine eigenen Füße, die über die Stufen schleiften. Aber er war zu müde, um sich Fragen zu stellen, zum Beispiel, wer ihn zog, wohin man ihn brachte, wie viel er getrunken hatte … Dankbar und erschöpft schloss er die Augen. Und als er sie wieder öffnete, umgab ihn warmes, angenehmes Licht.
»Bist du jetzt wieder bei dir?«
»Ja. Ja, ich habe nur geschlafen … einen Augenblick.« Revyn blinzelte. Ein Gesicht erschien vor ihm, dem er zuerst keinen Namen zuordnen konnte. Dann erkannte er die Person im Ganzen; auf einem Stuhl sitzend, in einem kleinen Raum mit zwei Fackeln, in Lederharnisch und Stiefeln. Mit kurz geschorenen Haaren und ernsten Augen. »Kommandant. Entschuldigt, ich … ich bin ein bisschen müde gewesen. Guten Abend, Herr. Ähm. Korsa.«
»Du warst also müde.«
»Ja, Herr«, bestätigte Revyn.
»Du bist sturzbesoffen, Junge. So wie dein Freund.« Erst jetzt sah Revyn aus den Augenwinkeln, dass Jurak neben ihm auf einem Stuhl saß. Oder besser gesagt hing. Ein Sabberfaden reichte ihm bis zum Knie.
»Verzeihung. Ich … das war … Ich wollte nicht …« Revyn verstummte. Die Worte in seinen Gedanken verschwammen und zerfielen ganz einfach. Reiß dich zusammen!, dachte er. Aber das war anstrengend, viel zu anstrengend …
»Revyn, hier gibt es Regeln. Wir Drachenkrieger sind die Elite Logonds. Das Vorbild der Menschen. Wir können nicht nachts durch die Stadt taumeln! Revyn, du bist hier, um jemand Besonderes zu werden! Um etwas Besonderes zu tun. Das ist eine Chance, die herzlich wenige je bekommen. Behandle sie mit etwas mehr Respekt.« Revyn spürte, dass Korsa etwas Wichtiges gesagt hatte, und es tat ihm schrecklich leid.
»Es ist schon in Ordnung, entschuldige dich nicht«, beruhigte Korsa ihn dann. »Du bist neu und kennst die Regeln nicht. Aber zukünftig verlange ich, dass du deine Verantwortung trägst wie ein Mann. Oder ich kann dich nur wie ein Kind behandeln. Diesmal entgehst du einer schwereren Strafe. Morgen gibt es für dich weder Frühstück noch Abendessen.«
Revyn nickte abwesend. Dann schickte Korsa ihn auf sein Zimmer und Revyn ging. Auf dem Weg durch den langen Korridor überkam ihn das Schamgefühl mit ganzer Gewalt. Wie kindisch er sich benommen hatte - und das am ersten Tag! Seiner neuen Tätowierung machte er wirklich keine Ehre. Plötzlich strömten ihm Tränen über die Wangen. Er beweinte sich selbst und seine lächerliche Tätowierung, die traurigen gefangenen Drachen und die ganze elende Welt, die bei all ihrer Grausamkeit lächelte.
Angezogen ließ er sich aufs Bett fallen, und als die Morgenhörner ihn aus dem Schlaf rissen, hatte er das Gefühl, sich gerade erst hingelegt zu haben.
Im Drachenstall
I ch rühre nie wieder einen Bierkrug an.
Ihr Menschen seid ganz außergewöhnliche Narren. Revyn lächelte und gähnte zugleich. Ob es wirklich der Drache war, der ihm in Gedanken antwortete, oder ob er Selbstgespräche führte, darüber dachte er gar nicht mehr nach. Vielleicht war es auch egal - jedenfalls hatte die Stimme recht.
Wieso bist du gegangen? Ja, wieso war er aus der Schänke hinausgetorkelt? Hast du nicht den Atem in deinem Nacken gespürt, so wie in deinem Traum …?
Woher weißt du von meinen Träumen?
Ich bin in deinem Kopf, du Trottel. Ich bin verrückt, dachte er und schüttelte den Kopf über
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