Das Drachentor
sich selbst. Dann hob er eine neue Ladung Drachenmist auf seine Schaufel und kippte sie in den Karren. Durch das Strohdach des Geheges drangen feine Sonnenstrahlen. Die Luft war erfüllt von dem Lärm der Drachenkrieger. Laute Stimmen, rollende Wagen, klirrende Waffen, die Hammerschläge der Schmiede, Hunderte Schritte auf Holzbrettern - das alles kam Revyn durchdringender vor denn je, und doch fühlte er sich dem Tag seltsam entrückt. Ein Teil von ihm schien noch nicht hinnehmen zu wollen, dass es schon hell war. Der Schlafmangel saß ihm in den Gliedern und machte seinen Kopf ungewohnt schwer. Was sein Hirn aber offenbar keineswegs daran hinderte, sich imaginäre Gespräche auszuspinnen.
Es war nicht der Atem aus meinem Traum, sondern der Atem einer betrunkenen Schänkendirne. Wieso ich nicht geblieben bin? Verdammt, ich … Es wäre nicht richtig gewesen.
Bist du wirklich deshalb gegangen?
»Wieso bist du gestern gegangen?« Revyn fuhr herum. Am Stalltor lehnte Capras. In seiner rechten Hand lag ein Schwert und sein Gesicht war rot vor Anstrengung. Er war zurzeit in der Kampfausbildung.
»Na, hat dir die Beichte bei Korsa die Sprache verschlagen, oder was? Sag schon, ich muss nämlich gleich weiter - soll eine Ladung Speere runterbringen.« Er wies mit dem Daumen hinter sich, wo der große Platz in der Mittagssonne flimmerte.
Revyn besann sich endlich. »Mir war schwindelig, deshalb wollte ich raus. Tut mir leid, wenn ich euch in Schwierigkeiten gebracht habe …«
»Ach, mach dir deshalb nicht ins Hemd. Korsa weiß ganz genau, dass sich alle rausschleichen. Dagegen kann er auch gar nichts tun, wir sind ja schließlich keine Mönche, oder? Ins Gewissen geredet hat er uns allen das erste Mal. Und danach, tja, da haben wir uns eben nicht mehr erwischen lassen.« Capras lächelte und stützte sich auf sein Schwert. »Und? Hat er dich zu einer Woche länger Stallausmisten verdonnert?«
»Nein, er hat bloß irgendwas gesagt, dass ich für heute kein Essen bekomme. Aber ich kann mich sonst an kein Wort erinnern, das schwöre ich.«
»Ist wohl besser so.« Capras grinste.
»Was ist eigentlich mit Jurak? Den hat Korsa auch irgendwo aufgelesen.«
»Tja!« Capras drehte lässig das Schwert in der Hand. »Der Schwachkopf hat sich jetzt schon viermal besoffen vom Boden kratzen lassen. Für die nächsten drei Wochen mistet der die hintersten Ställe der Reitdrachen aus. Aber einem Drachenkrieger brummt niemand, nicht mal Korsa, eine ernsthafte Strafe auf.« Dann lehnte sich Capras heimlichtuerisch über sein Schwert hinweg zu Revyn vor. »Was ist - kommst du heute Abend noch mal mit? Was gestern angefangen hat, wird heute weitergeführt, was meinst du?«
»Ich … ähm, mal schauen. Kommt drauf an, ob, du weißt schon. Ich … ja, wahrscheinlich schon.«
»Dann bis heute Abend - und noch viel Spaß bei den Drachen!« Capras verschwand im Gedränge. Revyn sah ihm eine Weile hinterher. Dann drehte er sich mit einem Seufzen um und warf eine Schaufelladung Drachenmist in den Karren. Seine Tätowierung brannte.
Auf komplizierte Weise schaffte es Revyn, sich am Abend doch herauszureden. In einem Gemurmel und Gestotter über Erschöpfung und Müdigkeit und die Tatsache, dass er keinen Taler besaß, glückte ihm eine plausible Ausrede. Capras lächelte verstehend und klopfte ihm auf den untätowierten Arm. »Schon gut, Revyn. Dachte bloß, du bräuchtest ein bisschen Ablenkung nach dem Stallausmisten, du hast ziemlich trübsinnig ausgesehen. Wenn du’s dir aber noch mal anders überlegst - du weißt ja, wo du uns findest.«
Revyn wünschte Capras, Twit und Jurak viel Spaß und sah zu, wie sie in der Dunkelheit Richtung Treppe verschwanden. Dann machte er kehrt und ging in das Rathaus zurück. Nun hatte er den ganzen Abend für sich. Ihm war das Abendessen gestrichen worden, aber zu Bett gehen konnte er jetzt noch nicht. Nein, er hatte etwas vor, das er längst schon hätte tun müssen.
Er lief verstohlen an der Tür zum Speisesaal vorbei, aus dem noch immer heiterer Lärm drang, ging aber dann normalen Schrittes den Gang weiter, als er merkte, dass sich die Drachenkrieger in diesem Teil des Rathauses frei bewegen konnten.
Es dauerte eine Weile, ehe Revyn genügend Leute befragt und die richtige Treppe gefunden hatte, die zu den Ställen der Reitdrachen führte. Er lief die breiten Stufen hinab, ohne jemandem zu begegnen, und bog rechts in einen weiten Gang ein. Nach mehreren Biegungen gelangte er zu einer kurzen
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