Das Drachentor
Treppe, die er in wenigen Schritten erklomm. Vor ihm erstreckte sich ein weitläufiger Stall. Außer einem gelangweilt wirkenden Stallburschen, der die letzten Drachenställe mit frischem Wasser für die Nacht versorgte, war niemand mehr da. Revyn ging auf ihn zu.
»Weißt du, wo die Drachen stehen, die nicht der Stadt gehören? Vorgestern wurde hier ein Drache hergebracht und ich würde gern zu ihm.« Zu seiner Erleichterung verstand der Stallbursche sofort.
»Geradeaus in diese Richtung«, sagte er und zeigte den Stall hinauf. »In den letzten Gehegen rechts stehen die Drachen, die den Kriegern gehören. Du hast wohl deinen eigenen, was?«
Revyn zögerte kurz, doch dann lächelte er. »Ja.«
Das Grinsen des Stallburschen verwandelte sich so schnell in eine Grimasse, dass Revyn erschrocken blinzelte. »Na, ist das nicht schön, Kamerad. Es wär noch schöner, wenn ihr reichen Angeber mal selbst kommen und euch um sie kümmern könntet! Eure Gardedrachen machen auch nicht weniger Mist als andere und das heißt Überstunden, verstanden?«
Revyn murmelte, dass er verstehe, und ging rasch davon. Das herausfordernde Schaufelscharren des Stallburschen blieb hinter ihm zurück. Reicher Angeber … Wenn der Stallbursche wüsste! Revyn war doch genau das Gegenteil - gewesen. Tatsächlich gehörte er jetzt zu einer Elite. Daran musste er sich noch gewöhnen.
Von allen Seiten drang das Schnauben der Drachen durch die Ritzen der Holztore. Heu raschelte und die Fackeln knisterten, sonst war es still. Revyn lief schneller an den Boxen vorbei. Er öffnete die Lippen, um nach Palagrin zu rufen; aber die friedliche Stille gebot ihm zu schweigen. Ebenso der Verdacht, dass der Stallbursche irgendwo hinter ihm nur darauf wartete, einen Streit anzufangen.
Dann kam er bei den hintersten Ställen an. Er spähte durch die Holzgitter in die Ställe der Drachen hinein, sah auf dem Boden schlafende und fressende Tiere, begegnete neugierigen Blicken und spürte ihren Atem durch die Öffnungen. Seine Fingerspitzen glitten über das wellige Holz, das die Jahre und die unzähligen Hände glatt geschliffen hatten. Endlich fand er einen Stall, in dem ihm ein vertrautes Augenpaar entgegenblickte.
»Palagrin.« Seine Hände glitten zum Riegel und schoben die Tür auf. Der Drache hatte längst die Ohren gespitzt. Als Revyn zu ihm ins Gehege trat, schnaubte er, stieß behutsam den Kopf gegen Revyns Schulter, um ihn nicht mit seinen langen Hörnern zu verletzen, und zupfte ihm mit dem Maul am Kragen.
»O Palagrin …« Revyn schlang die Arme um den weichen Drachenhals und kraulte ihn ausgiebig.
Wenn du wüsstest, wie ich dich vermisst habe …
»Ich habe dich vermisst«, flüsterte Revyn, vergrub das Gesicht im kurzen Fell, das so sehr nach Vergangenheit roch, und schloss fest die Augen. »Geht es dir gut?«
Ich sehne mich nach Rennen, nach Sonne und Luft, nach Regen und Nebel … Palagrin stampfte unruhig mit den Vorderhufen. Der Stall war ja viel zu klein.
Ich würde so gerne mit dir ausreiten, dachte Revyn. Fort aus Logond, fort von den Menschen hier und von den Ställen, in die Dunkelheit und den Wald.
Palagrin gab einen kummervollen Laut von sich, der beinahe menschlich klang. Lange musterte Revyn die schwarzen Augen des Drachen. Musterte den schemenhaften Krieger, der sich in ihnen spiegelte.
Dann löste er die Gurte um Palagrins Flügel und strich behutsam über die tiefen Kerben in der Haut.
Es war spät in der Nacht, als Revyn Palagrin verließ. Er fühlte sich müde und matt und wäre fast im Stroh eingenickt. Wenn er darüber nachdachte, war es ihm immer noch vollkommen rätselhaft, wieso Palagrin ihm gegenüber so zutraulich war. Der Drache verhielt sich, als hätten sie sich ihr ganzes Leben schon gekannt. Aber nicht als Herr und Sklave - nein, als hätte das Schicksal sie vor langer Zeit als Verbündete zusammengeschweißt.
Ein plötzlicher Knall ließ Revyn zusammenfahren: Die Stalltür vor ihm erzitterte. Ein wütendes Schnauben folgte, aber da hatte Revyn den Riegel schon halb zurückgeschoben, um nachzusehen. Im Türrahmen blieb er stehen. Einem rasenden Drachen gegenüber. Revyn schluckte so laut, dass der Drache es hören musste. Ein dunkles Grollen drang zwischen seinen Zähnen hervor.
»Ganz ruhig.« Revyn wagte nicht, dem Drachen in die glühenden Augen zu sehen - sein Blick blieb wie festgeklebt auf die Krallen gerichtet. Vorsichtig, ganz langsam, streckte er die Hände aus. »Ich tu dir nichts. Was … was
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