Das Drachentor
Arbeit.
Als sie das Haus verließen, fühlte sich Revyn der Realität seltsam fern. Ein zartes Gefühl der Erleichterung und ein Funken Stolz glommen in ihm auf. Er wusste, dass er den Schmerz bald vergessen würde. Aber er würde nicht die Angst vergessen, sein Gesicht könne Capras, Twit und Jurak etwas von diesem Schmerz verraten. Wahrscheinlich bedurfte es genau dieser Angst, um wirklich ein Drachenkrieger zu sein.
»Ich würde sagen, unser neuer Kamerad hat sich was verdient«, erklärte Capras und erntete die laute Zustimmung seiner beiden Freunde. »Auf Revyn, jawohl!«
Sie führten ihn durch die Straßen, bis immer mehr Leute und immer mehr Lichter auftauchten. Ehe Revyn sichs versah, war er in den bunten Vergnügungsvierteln angekommen, die er gestern Nacht bestaunt hatte.
Auch jetzt erfüllte heißer Dampf die Straßen, schweres Parfüm mischte sich mit Schweißgeruch und süßlicher Fäulnis. Die Luft betäubte. Der Lärm war berauschend.
Die drei Drachenkrieger führten Revyn zu einer Schänke mit gefärbten Glasfenstern. Kaum waren sie davor stehen geblieben, flog etwas aus dem Fenster, und die vier zogen erschrocken die Köpfe ein: Eine Flasche zerschellte auf dem Kopfsteinpflaster. Das kaputte Fenster klappte auf und eine hagere blassgrüne Frau lehnte sich mit einem Katzenlächeln zu ihnen heraus.
»Hallooo«, hauchte sie. Ihre Augen blinzelten zweimal träge, dann nickte ihr Kopf zur Seite und sie sackte schnarchend zusammen. Ihr dunkles Haar floss über ihr Gesicht. Ein spitzes Ohr wurde sichtbar.
Revyn betrachtete sie mit großen Augen, während Capras, Twit und Jurak sich wieder einander zuwandten. »Also, Männer: Das ist Revyns erste Nacht als Drachenkrieger, drum lasst uns diesen monumentalen Augenblick gebührend besaufen!« Capras drückte die Türklinke herunter und hielt ihnen galant die Tür auf.
»Die Frau da, die sieht so anders …«, murmelte Revyn, während Twit und Jurak ihn hineindrängten.
»Sag bloß, du hast noch nie eine Elfe gesehen«, erwiderte Capras amüsiert.
»Vielleicht hat er ja auch einfach noch nie eine Frau gesehen«, grinste Twit. »Aus welchem fernen Wäldchen stammst du eigentlich?« Revyn musterte ihn kühl, doch Capras legte beiden einen Arm über die Schulter.
Sie traten ins Innere der Schänke. Stickige Luft raubte Revyn beinahe den Atem. Es brannten so viele Kerzenleuchter und Laternen, dass es fast taghell war; und doch tanzten die Lichter so unruhig über das Gedränge, dass es nur noch unüberschaubarer wirkte. Irgendwo links verschwand eine Theke hinter lärmenden Männern, die nach Getränken riefen, bunt bekleideten Damen, klirrenden Krügen und Stühlen, die von Hand zu Hand durch die Menge wanderten. Rechts gab es ein Gemenge aus Tischen, Bänken und viel zu vielen Menschen. Über all das legte sich die Melodie mehrerer Flöten, die das wütende Gebrüll der Betrunkenen verfärbten, bis es sich nicht mehr vom Gelächter unterschied. Auf kleinen Balkonvorsprüngen, die man über gewundene Treppen erreichte, saßen und tanzten schmalgliedrige, blasse Frauen und ließen die Beine über das Geländer baumeln. Es waren Elfen.
Revyn hatte gar nicht die Zeit, sich richtig umzusehen. Capras, Twit und Jurak zogen ihn in Richtung der Tische, als ihnen vier Mädchen entgegenkamen. Erst als sie vor ihnen standen, Umarmungen mit den drei Drachenkriegern tauschten und Revyn an den Armen fassten, erkannte er, dass ihn hinter der grellen Schminke keine Mädchen, sondern erwachsene Frauen anlächelten.
»Macht Platz für die Drachenkrieger!«, riefen sie mit glockenhellen Stimmen. Kaum einen Moment später saßen sie alle dicht gedrängt an einem Tisch und Capras schlug eine Kupfermünze auf das Holz.
»Mein Monatsgehalt findet also zu seiner wahren Bestimmung - eine Runde für alle!« Die Damen an seiner Seite klatschten und kicherten und bald darauf stand vor jedem von ihnen ein Bierkrug. Revyn blickte zu allen Seiten. Betrunkene Männer umgaben ihn.
»Revyn? Revyn!« Capras hatte sich zu ihm vorgelehnt. »Was ist? Nein - dass du noch nie getrunken hast, das kannst du mir jetzt wirklich nicht erzählen!«
Revyn spürte nicht, wie hart und hasserfüllt sein Blick wurde, doch er merkte es an Capras’ erschrockenem Gesichtsausdruck. Er bezweifelte, dass irgendwer in dieser stickigen Schänke den Alkohol so gut kannte wie er durch seinen Vater.
Twit stieß ein Grunzen aus. »Er kann es ja langsam angehen lassen. Erst mal bloß nippen am bitterbösen
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