Das Drachentor
Drachen würden sterben. Aber darüber sprach niemand in Logond.
Oft dachte Revyn an Prinzessin Ardhes. Fast wie der Nachgeschmack eines verwirrenden Traumes haftete die Begegnung mit ihr in seinem Gedächtnis - eines wiederkehrenden Traumes. Denn auf eine Weise, die Revyn sich nicht erklären konnte, hatte er das Gefühl, Ardhes schon lange zu kennen, aus der Vergangenheit oder einer Zukunftsahnung.
Selbst in Revyns wirkliche Träume begleitete sie ihn hin und wieder. Wenn er durch wabernde Nebel rannte, verzweifelt auf der Suche nach etwas, das verschwand, sobald er die Hände ausstreckte, und unsichtbar war, sobald er die Augen öffnete, hielt er atemringend an und erkannte, dass hinter einem Baumstamm oder einem Strauch das Mädchen mit dem reglosen Gesicht stand. Ardhes’ dunkle Augen beobachteten ihn. Aber wie alles in diesem Traum schien auch sie zu verschwinden, sobald Revyn seinen Blick auf sie richtete - nur war es bei ihr anders. Ein Ausdruck von Erschrecken breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ehe die Nebel des Traumes sie verschluckten. Dann schien es, als verschwinde sie gar nicht im Nebel; kleine Wellen erschütterten ihre Erscheinung, als bestünde sie aus Wasser, als sei sie nur eine Spiegelung auf einer glatten schwarzen Oberfläche...
In seinem wachen Stunden begegnete er der Prinzessin nicht wieder. In den Tagen nach dem Turnier erwartete er fast jeden Augenblick, eine Nachricht von ihr zu erhalten - auch wenn er das nie zugegeben hätte -, doch nichts kam. Schließlich erinnerte er sich daran, dass sie eine Prinzessin war und wahrscheinlich schon längst vergessen hatte, dass er überhaupt existierte. Und vielleicht war das sogar besser so. Denn er hätte nicht gewusst, was er ihr sagen sollte, und sich gewiss ein weiteres Mal blamiert.
»Zwei Tage. In zwei Tagen wird das Schicksal uns auf die Probe stellen.« Capras strich in einer prophetischen Geste durch die Luft und sann über seine eigenen Worte nach. Hinter ihnen verebbten die lauten Stimmen der Drachenkrieger, die bekannte Kriegslieder zum Besten gaben, als die hohen Türen des Rathauses zufielen. In dieser Nacht wurde gefeiert, dass die Truppen Logonds im Morgengrauen ins Ungewisse aufbrechen würden. Revyn hatte in dem fröhlichen Gedränge der Speisehalle eine günstige Gelegenheit ergriffen, mit Capras für eine Weile hinauszugehen - er wollte vor der Schlacht noch einmal mit ihm alleine sprechen. Von den Drachenzähmern, auch von Lilib, hatte er sich schon verabschiedet, und Capras war ihm mindestens genauso wichtig. Zugegeben, Capras hatte nur Gedanken für sein Vergnügen und war auch ein bisschen überheblich - aber dabei schaffte er immer, alle anderen zum Lachen zu bringen.
»Du bist also genauso zuversichtlich wie Twit?« Revyn kratzte sich nachdenklich an der Schläfe, während sie den breiten Steg an der Stadtmauer entlangschlenderten.
»Du meinst so fanatisch wie er? Blödsinn. Aber ein bisschen recht hat er schon in all seinem Wahn … Wenn wir zurückkommen, sind wir es, die gefeiert werden! Die Drachenkrieger. Das war immer so und wird immer so sein. Die Drachengarden ernten den Ruhm. Was glaubst du, wie das Leben für uns aussieht, wenn wir zurückkehren? Wo wir auch auftauchen, werden die Leute uns die Füße küssen! Das heißt, sie werden uns bereitwilliger die Füße küssen als ohnehin schon.« Capras grinste. Seine Augen hatten selbst hier in der Dunkelheit einen schalkhaften Glanz.
Wenn wir zurückkehren, hätte Revyn fast erwidert, aber er wollte nicht miesepetrig klingen. Stattdessen sagte er etwas, über das er sich selbst wunderte: »Mein Vater ist im Krieg gegen Myrdhan gestorben.« Eine Weile schwiegen beide. Revyn fragte sich, wieso er es erwähnt hatte - er dachte seit Langem schon nicht mehr an seinen Vater. Und er hatte sich geschworen, nie wieder über ihn zu reden.
»Das tut mir leid«, murmelte Capras. Der leise, ernste Ton wollte kaum zu ihm passen. Er merkte es wohl selbst, denn schnell fügte er weitaus fröhlicher hinzu: »Ein Grund mehr, den Hosenscheißern in zwei Tagen die Hölle heißzumachen! Stell dir vor«, er legte Revyn einen Arm um die Schultern und deutete mit dem anderen geradeaus, als habe er eine Vision, »stell dir vor, Revyn, in der Schlacht ist auch der Bastard, der deinen Vater auf dem Gewissen hat. Sicher ist er fett … und hässlich. Dann reitest du auf ihn zu. Erst langsam. Und dann schwingst du dein Schwert, zweimal, dreimal. Und dann … dann nimmst du
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