Das Drachentor
Tiere sprechen nicht. Schon gar nicht in unserer Sprache.«
Revyn fuhr sich mit den Händen über den Kopf. Jetzt hatte er Lilib dazu gebracht, ihn für verrückt zu halten. Doch so leicht wollte er nicht aufgeben. »Wo sind die Drachen aus dem Turnier? Wurden sie schon wieder zurückgebracht?«
»Sie sind dahinten … Aber Revyn, warte!« Lilib lief ihm hinterher, bis er den Drachen gefunden hatte, auf dem er im Turnier geritten war. Er stand vollkommen reglos in seinem engen Stall.
»Was hast du vor?«, raunte Lilib und spähte ebenfalls durch die Holzbretter.
»Pass einfach auf«, sagte Revyn. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und versuchte, sich zu konzentrieren.
Hörst du mich? Wie geht es dir?
Sieh dich doch um.
Revyn fühlte sich plötzlich heiß. Er warf Lilib einen Blick zu, doch sie zeigte keine Reaktion.
Es tut mir so leid, dass du jetzt hier … Ich wünschte, ich könnte dir deine Freiheit zurückgeben.
Was ist das? Der Drache schwenkte langsam den Kopf hin und her, hin und her wie ein Tier, das den Verstand zu verlieren drohte, während seine Augen dumpf ins Nichts starrten.
Es bedeutet, dass du gehen kannst, wohin du willst.
Was, wenn ich gar nicht weiß, wohin ich will? Was, wenn ihr Menschen mir den Willen genommen habt? Wenn ich nirgends hinwill, weil ich alles vergessen habe? Zu spät, zu spät, ich habe vergessen. Nicht
nur euer Eisen kettet mich. Der Drache schwenkte noch immer den Kopf wie ein Pendel.
»Was ist?«, fragte Lilib.
Revyn starrte sie an. »Du hast nichts …?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Himmel, Revyn, geht es dir wirklich gut?«
Er wich ihr aus, als sie eine Hand auf seine Schulter legen wollte.
»Ja, ja, ich … schon in Ordnung. Mir geht’s gut. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.« Er versuchte, locker zu lächeln, doch Lilib musterte ihn voller Zweifel. Sie hatte die Stimme nicht gehört - natürlich, dachte Revyn. Was hatte er sich bloß dabei gedacht, Lilib sein Geheimnis zu verraten? Zu denken, sie könnte die Stimmen in seinem Kopf hören.
»Ach, ich weiß auch nicht, was ich meine«, sagte er halbherzig. »Gehen wir einfach zurück zum Turnier, ja?«
Lilib nickte langsam.
Die Kriegsvorbereitungen nahmen unaufhaltsam ihren Lauf. Neben all dem Unterricht kam Revyn kaum noch dazu, Palagrin oder einen der anderen Drachen zu besuchen, selbst für morgendliche Ausritte fehlten ihm bald die Zeit und Kraft. Nach den ersten zwei Monaten war er wie gerädert, bekam die typischen Schwielen eines Schwertkämpfers an den Händen und zuckte im Schlaf zusammen, wenn er von Klingen und Speeren und Wurftechniken träumte. Doch der Unterricht zahlte sich aus und er wurde geschickter.
In den Nächten schlichen sie sich nicht mehr in die Vergnügungsviertel Logonds. Twit hatte der Ehrgeiz so gepackt, dass er noch trainierte, wenn die Übungsplätze längst leer gefegt waren. Auch Capras und Jurak sprachen von nichts anderem mehr als dem Krieg, der den langen Zwist zwischen Haradon und Myrdhan endgültig im Staub und Schlamm des Schlachtfelds beilegen sollte. Vor neun Jahren war Myrdhan zu großen Teilen besetzt worden und der König hatte Exil an der östlichen Küste gesucht. Nun hatte er Isdad, die Hauptstadt Myrdhans, zurückerobert und scharte ein Heer um sich für einen Angriff auf Haradons Grenzen. Doch schon einmal hatte Haradon Myrdhan besiegt, und wie die Krieger Logonds zu jeder Gelegenheit verkündeten, sollte es nun ein zweites Mal so kommen.
»Myrdhans Drachenlegionen sind zerschlagen und schwach, die Krieger haben sich in den zehn Jahren fette Bäuche angefressen, während wir hier in Logond und überall in Haradon zäh vorbereitet haben, was in ein paar Monaten ausgefochten wird«, erklärte Twit oft, wenn sie abends nach dem Essen länger in der Speisehalle blieben, um zu reden und Würfel zu spielen. Niemand konnte so lange und ausdauernd wie er erklären, weshalb Haradon siegen würde. Twit zählte die Tage und Stunden bis zur ersten Schlacht; an Revyn zog die Zeit vorbei, ohne dass ihn dieselbe Vorfreude packte. Anfangs hatte er sich seltsam flau gefühlt, wenn er daran dachte, all die gelernten Schwertstöße und Speerwürfe einmal anwenden zu müssen. Dann dachte er lange Zeit nicht mehr an den Krieg, er dachte an fast gar nichts mehr, während er ohne Unterlass übte; und dann, kurz bevor sie Logond endgültig verlassen sollten, überkam ihn wieder die Wahrhaftigkeit des Krieges mit überwältigender Furcht. Menschen und
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