Das Drachentor
Rache, verstanden? Hör zu, schau nicht so elend drein. Dein Vater wird in der Schlacht sicher bei dir sein. Sagt man das nicht? Dass verstorbene Eltern über ihre Kinder wachen?«
Revyn lächelte matt. »Was ist eigentlich mit deinen Eltern? Leben sie hier in Logond?«
Capras nahm den Arm von seinen Schultern und steckte die Finger in den Gürtel. »Meine Mutter ist tot, ich kann mich nicht an sie erinnern. Ist verflucht kalt. Gehen wir schneller.«
»Revyn?« Die Jungen fuhren herum. Im blassen Licht einer Fackel, die abseits an der Mauer hing, erkannten sie den Umriss eines Mädchens.
»Ardhes?« Revyn machte einen Schritt auf sie zu und trat unsicher wieder zurück. »Prinzessin.« Er schluckte, um seine Stimme wiederzufinden, und verneigte sich. Als er und Capras sich aufrichteten, grinste Capras ihn aus direkter Nähe an. »Ich geh dann lieber mal zurück«, murmelte er und setzte seinen Vorsatz glücklicherweise auch in die Tat um - nicht ohne Revyn vorher ein paar kräftige Schläge auf die Schulter zu verpassen.
In diesem Augenblick war Revyn froh, dass es dunkel war, sonst hätte Ardhes ihn wie eine Tomate erröten gesehen. Mit einem Räuspern kam sie auf ihn zu. Nur einen kleinen Schritt vor ihm blieb sie stehen, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wiegte sich leicht zur Seite. »Du brichst morgen auch auf?«
»Oh - ja, Majestät. Alle müssen gehen. Ich … ich hätte nicht gedacht, Euch noch einmal wiederzusehen.«
»Nenn mich nicht Majestät, bitte. Das klingt, als wäre ich ein fetter alter König.« Bleiches Mondlicht fiel über Logond, sodass er Ardhes’ Gesicht erahnen konnte. Im silbrigen Schein wirkte sie schöner und kühler denn je. Revyn schauderte, ohne zu wissen, wieso.
»Nun, hier bin ich also. Gerade noch rechtzeitig … Wie du werde auch ich Logond morgen verlassen. Ich kehre zurück nach Awrahell.« Sie machte eine kurze Pause, wie um Revyn Zeit zu lassen, über das Gesagte nachzudenken. »Wollen wir ein Stück laufen, Revyn?« Er nickte mechanisch und sie setzten sich stumm in Bewegung. Von Sekunde zu Sekunde wog die Last seiner eigenen Sprachlosigkeit schwerer auf Revyn. Aber aus Angst, einen komischen Laut von sich zu geben, wagte er nicht, den Mund zu öffnen.
»Weißt du, Revyn«, setzte Ardhes schließlich an, den Blick geradeaus gerichtet, »du kennst mich kaum. Aber ich … Nein, du wirst nicht verstehen. Weißt du, wer ich bin?« Sie sah ihm in die Augen. Nein, hätte Revyn fast erwidert, aber rechtzeitig erkannte er, wie schrecklich plump diese Antwort gewesen wäre. Doch Ardhes erwartete auch keine Antwort.
»Ich bin eine Prinzessin gemischten Geblüts, halb ein Mensch und halb … eine Elfe. Ich bin die Tochter eines elfischen Königs, verstehst du, und werde einst über ein elfisches Reich gebieten. Und der Grund, weshalb ich dir das alles sage … Ich habe keine Ahnung«, gab sie leise zu. Revyn blieb unsicher stehen und sie wandte sich zu ihm um.
»Doch. Natürlich weiß ich, warum ich dir das alles erzähle.« Sie schien sich beherrschen zu müssen, um ihn nicht an den Armen zu fassen; stattdessen nahm sie die Hände herunter, wo sie sich um den Stoff ihres Kleides schlossen.
»Hör zu, Revyn. Du bist außergewöhnlicher, als du denkst. Weißt du, ich kann Menschen sehen. Manchmal sehe ich ihre Vergangenheit oder ihre Zukunft oder Träume, manchmal kann ich nicht genau dazwischen unterscheiden. Jedenfalls habe ich dich gesehen. Dein Herz. Revyn, du hast etwas, was kein anderer Krieger hier besitzt: ein Schicksal, das bedeutend sein wird, vielleicht für die ganze Welt. Ich sehe … einen leuchtenden Faden durch dein Leben. Er ist wahrscheinlich schon gesponnen worden, bevor du geboren warst. Er fügt sich zu einem großen Netz, das mit so vielen anderen Schicksalen verbunden ist, dass es die Zeit prägen wird und die Zukunft bestimmt. Aber dann … dann verliert sich dieser Faden. Ich weiß nicht, was das bedeutet, es sieht fast aus, als seist du danach plötzlich wie vom Erdboden verschluckt -«
»Was redet Ihr da?«, stammelte Revyn. »Was meint Ihr?«
Einen Augenblick starrte sie ihn an - dann trat ein Hauch von Bedauern in ihr Gesicht. »Es tut mir leid. Ich hätte dir das alles nicht sagen sollen. Wie solltest du auch verstehen? Ich verstehe es selbst nicht.« Sie drehte sich unschlüssig um.
Revyn schwieg eine Weile. Dann fragte er mit belegter Stimme: »Sagt Ihr das alles, damit ich keine Angst vor der Schlacht habe?«
»Nein! Nein, es
Weitere Kostenlose Bücher