Das dreizehnte Opfer: Thriller (German Edition)
beruhigender als das sanfte Schaukeln der Fähre.
Noch etwas mehr Gewürge und Gepladder und dann eine Stimme: »Ash … Ash … halten Sie meine Haare fest …«
»Nein.«
Dr. McDonalds Ausdrucke waren nach keinem erkennbaren System geordnet. Obenauf lagen die Geburtstagskarten von Hannah Kelly, aber gleich danach kamen die von Helen McMillan, der Zwölfjährigen aus Dundee mit den signierten Erstausgaben im Wert von zweiunddreißigtausend Pfund im Bücherregal ihres Kinderzimmers.
Sie hatte nicht viel Ähnlichkeit mit dem Foto, das wir auf ihrer Kommode gefunden hatten. Das Feenprinzessinnen kostüm war verschwunden, ebenso wie das zahnlückige Grinsen. Jetzt hing ihr das orangerote Haar in strähnigen Locken um das herzförmige Gesicht und den langen, zerschundenen Hals. Nase und Wangen waren mit Sommersprossen übersät, und aus einem Nasenloch rann ein dünner Blutfaden. Die Augen waren übertrieben geschminkt, der Mascara verschmiert und von Tränen verwischt.
Der Kragen von Helens knallgrüner Jacke war auf einer Seite zerrissen, und das Futter schaute heraus. Beide Arme hinter dem Rücken, beide Fußgelenke an die Stuhlbeine gefesselt, die Jeans im Schritt und an den Oberschenkeln dunkel verfärbt. Die Ziffer 1 war in die obere linke Ecke geritzt.
Das Foto war kein Polaroid wie die auf Rebeccas Karten oder denen der früheren Opfer. Der Gratulator war endlich doch mit der Zeit gegangen und hatte sich eine Digitalkamera gekauft. Nun ja, er konnte ja schlecht mit einem herkömmlichen Film in einen Supermarkt gehen und ihn dort entwickeln lassen.
Ich starrte in Helens Augen. Sie waren graugrün, die Ränder gerötet, feucht glänzend, wo das Blitzlicht von ihren Tränen reflektiert wurde. Die Karte war erst gestern gekommen, aber das Mädchen war schon ein ganzes Jahr tot.
»Ash … Ash, ich sterbe.« Noch mehr Würgen. »O nein … Ich habe … Ich habe Blutwurst in den Haaren …«
Gott sei Dank hatte die Toilette einen Abluftventilator, der mit dem Lichtschalter gekoppelt war und den Gestank eines Drei-Gänge-Menüs plus zwei Whiskys, einem Brandy und zwei Flaschen Wein hinausbeförderte. Ich hoffte für sie, dass alles in der Schüssel gelandet war – wenn nicht, konnte sie es gefälligst selbst aufwischen.
Ich legte Helen McMillans Karte beiseite und zog den nächsten Satz heraus: das Mädchen aus Cardiff. Dann das aus Bristol. Aberdeen. Newcastle. Inverness. London. Noch mal London. Oldcastle, Glasgow … Zehn Opfer, Rebecca nicht mitgezählt, über die letzten neun Jahre verteilt. Insgesamt zweiundvierzig Karten.
Ganz hinten steckten Amber O’Neils Karten. Entführt im Princes-Square-Einkaufszentrum in Glasgow vor zehn Jahren war sie das erste Mädchen, auf das der unheilvolle Blick des Gratulators gefallen war.
Ein unscheinbares blondes Mädchen, das blasse Gesicht tränenüberströmt, die Nase ein bisschen zu groß, die Lippen geschürzt, sodass man die blutigen Zähne sehen konnte. Kein Knebel. Jedenfalls nicht auf den ersten paar Fotos. Er hatte gewollt, dass sie schrie, hatte es sich dann aber anders überlegt. Vielleicht machte es nicht ganz so viel Spaß , wenn sie wie am Spieß schrie, während er ihr Muster in die nackte Haut ritzte.
Sie war schon blond, also musste er ihr nicht die Haare färben. Entführt in Glasgow. Nie wieder aufgetaucht.
Lauren war zwischen Karte vier und fünf gestorben, Hannah zwischen sieben und acht. Amber hatte bis Nummer sechs durchgehalten, mit weit aufgerissenen, flehenden Augen, ihr nackter Körper mit Teppichmesser-Graffiti verunstaltet. Und ein Jahr später war Karte Nummer sieben gekommen. Die linke Seite ihres Schädels war eingedrückt, die mausblonden Haare mit Blut verfilzt. Die nächste Karte war noch schlimmer, aber wenigstens hatte Amber da schon nichts mehr mitbekommen. Jetzt waren es nur noch ihre Eltern, die leiden mussten.
Ich zog den Reißverschluss meines Rollkoffers auf, kramte die Zigarrenkiste heraus und holte Rebecca hervor. Fünf Karten, und sie war noch am Leben, wehrte sich noch und schrie und blutete …
Das Rauschen der Toilettenspülung, ein bisschen Stöhnen und Keuchen, und dann lief die Dusche. Sie wusch sich die Bröckchen aus den Haaren.
Ich starrte gerade Rebeccas letzte Geburtstagskarte an, als die Toilettentür aufgestoßen wurde und Dr. McDonald herausgewankt kam, in ein Handtuch gehüllt, ihre Kleider an die Brust gedrückt. Die nassen Haare hingen ihr in wirren Löckchen ums Gesicht; das eine Auge hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher