Das dreizehnte Opfer: Thriller (German Edition)
noch mal so einen.«
»Sofort.« Der Ober stellte das Glas auf sein Tablett, sammelte die Speisekarten ein und entschwebte.
Sobald er verschwunden war, hob Dr. McDonald ihre Tasche vom Boden auf und nahm eine rote Plastikmappe heraus. Sie breitete den Inhalt auf dem Tisch aus: Fotokopien sämtlicher Karten, die Hannah Kellys Eltern vom Gratulator bekommen hatten.
»Sind Sie sicher, dass das hier der richtige Ort dafür ist?«
»Deshalb sitze ich ja in der Ecke. Niemand kann mir über die Schulter schauen.« Sie ordnete die Karten chronologisch, die ältesten oben links, die neuesten unten rechts. Dann schlang sie einen Arm um sich und fingerte mit der anderen Hand an ihren Haaren herum, während sie die Bilder anstarrte. »Alles, was er tut, hat eine Bedeutung; wir wissen nur noch nicht, was es ist. Er hat Hannah die Haare gefärbt – das sieht man hier auf Karte Nummer drei –, aber bei Amber O’Neil hat er das nicht getan. Er verwandelt Hannah in eine andere, es geht hier im Grunde um Projektion …«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie eine Whiskytrinkerin sind.«
»Und bei Nummer sieben rasiert er sie komplett ab, sogar die Augenbrauen; er bestraft nicht sie, er bestraft die Person, für die sie steht …«
Dr. McDonald starrte und fummelte, und dann starrte sie noch ein wenig.
»Woher wissen Sie, dass ich kein Vegetarier bin?«
»Hmm?«
»Sie haben mir ein Steak bestellt – woher wissen Sie, dass ich –«
»Ihre Hände.«
Ich hielt sie hoch. Sie sahen aus wie Hände. Zerschrammt und um die Knöchel geschwollen, aber abgesehen davon …? »Wie können Sie –«
»Er ist nicht auf einen bestimmten Typ fixiert: Die Mädchen haben alle verschiedene Figuren, sind verschieden groß; glatte Haare, Locken, lange Haare und kurze Haare; blond, brünett und rot – ich denke mal, es spielt wohl keine Rolle, wenn er sowieso vorhat, sie zu färben; manche sind hübsch, andere nicht ganz so hübsch, er sieht sie gar nicht wirklich, er sieht nur das, was sie für ihn darstellen sollen …« Dr. McDonald entfaltete ihre Serviette und breitete sie über die Karten aus. Dann lächelte sie – der Ober war zurück.
»Ein doppelter Glenmorangie?«
15
Sie haute den zweiten Whisky in einem Zug weg, verzog das Gesicht, spreizte die Ellbogen und holte flatternd Luft.
Ich lehnte mich zurück und schenkte mir ein Glas Sprudel ein. »Wieso habe ich den Eindruck, dass Sie es nicht gewohnt sind, Alkohol zu trinken?«
»Würden Sie den Gratulator als normal bezeichnen? – Ich jedenfalls nicht, aber ich muss versuchen, so zu denken wie er, wenn ich herausfinden will, was er will und was er braucht, und was er davon hat, junge Mädchen zu foltern, und das ist eine ziemliche Herausforderung, weil ich normal bin und er nicht.« Sie stellte das Glas wieder auf den Tisch. »Zum Glück hat Alkohol eine stark enthemmende Wirkung.«
» Sie sind normal ?« Ich merkte, wie mein Grinsen breiter wurde. »Sind Sie da sicher?«
Ihre Wangen röteten sich, sie brach den Blickkontakt ab und starrte auf die Fotos von Hannah Kelly hinunter. »Er ist seit neun Jahren aktiv, in den ersten sechs Jahren entführt er jedes Jahr ein Mädchen – bis auf eine Lücke von zwölf Monaten –, und dann, vor drei Jahren, greift er sich zwei Opfer innerhalb von drei Wochen und dann letztes Jahr noch einmal das Gleiche –«
»Sie halten sich tatsächlich für normal?«
»– und inzwischen hat er wahrscheinlich noch zwei wei tere entführt.« Sie goss sich gluckernd Pinot Grigio in ihr Glas und nahm einen kräftigen Schluck. »Damit kommt er auf insgesamt zwölf Mädchen, alle kurz vor ihrem dreizehnten Geburtstag entführt, und die Nächste wird Nummer drei zehn sein … Dreizehn Dreizehnjährige: Das könnte signifikant sein …« Noch ein Schluck. »Oder vielleicht nicht, ich meine, es war immer klar, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, wo er dreizehn Mädchen ermordet hat, solange er weiter tut, was er tut, und es uns weiter nicht gelingt, ihn zu fassen; irgendwann wird die Zahl seiner Opfer bei neunzehn liegen und dann bei einundzwanzig und dann …«
Die Brötchen waren warm; ich nahm mir eins und schmierte Butter darauf. »Es sei denn, er steigert sich in einen Rausch. Letztes Jahr waren es zwei Opfer, aber dieses Jahr könnten es drei oder gar vier sein. Vielleicht läuft er irgendwann Amok, und wir finden ihn tot in einem Straßengraben mit einer Schrotflinte im Mund?«
Dr. McDonald rieb mit einer Hand über den Ärmel ihres
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