Das Dunkel der Lagune
»Ich konnte nicht schlafen, wollte unbedingt wissen, was passiert ist. Außerdem wollte ich meinem indischen Buchhalter auf die Schliche kommen. Der Kerl unterschlägt Geld.«
»Und? Kannst du ihn jetzt festnageln?«
»Leider nicht. Der Kerl ist zu raffiniert. Genau wie jemand aus meinem Bekanntenkreis. Aber irgendwann wird er zu viel riskieren, und dann wird's ihn erwischen.«
Hagen lächelte über die auf ihn gemünzte Anspielung und holte den 38er aus der Hosentasche. »Tut mir Leid, dass er nass geworden ist.«
Sie klappte die Trommel auf und ließ die sechs leeren Hülsen auf den Schreibtisch fallen. »Wie viele Leichen hast du denn auf dem Gewissen?«
»Darüber würd ich mir an deiner Stelle keine Sorgen machen«, erwiderte er grinsend. »Das Letzte, was diese Kerle wollen, ist, dass die Polizei mitmischt. Die Toten und Verletzten sind längst in China, wenn ich mich nicht schwer täusche!«
Sie zündete sich ein Zigarillo an und musterte ihn nachdenklich. »Dem Mädchen ist doch nichts passiert, oder?« Als er kopfschüttelnd verneinte, fragte sie weiter: »Und du willst dich immer noch auf dieses verrückte Ding einlassen?«
»Warum nicht? Langsam macht es mir richtig Spaß.«
»Und du hast immer noch die Absicht, der Kleinen das Gold abzuluchsen?«
Vorsichtig stellte er das Glas ab. Ihre letzte Frage gefiel ihm überhaupt nicht. Er ging deshalb nicht auf sie ein und sagte stattdessen: »Kann ich heut Nacht hier bei dir übernachten?«
Sie nickte bedrückt. »Natürlich – sag dem Dienstmädchen Bescheid.« Plötzlich schlug sie mit der Faust auf den Tisch, stieß einen Fluch aus und schrie: »Worauf wartest du noch, du Ekel! Verschwinde endlich!« Auf Zehenspitzen verließ er das Zimmer, schloss leise die Tür hinter sich und ging nach oben.
Vor dem Schlafengehen vergaß er, die Jalousie herunterzulassen, sodass die Morgensonne ihn schon gegen halb zehn weckte. Erstaunt stellte er fest, dass er sich ganz munter fühlte, obwohl er nur knapp vier Stunden geschlafen hatte. Er duschte ausgiebig und zog sich dann den Anzug an, den ein früherer Bewohner dieses Zimmers im Schrank vergessen hatte. Der Anzug passte ihm recht gut, doch das einzige vernünftige Hemd, das er fand, war ihm etwas zu eng. Er ließ den obersten Knopf offen, kaschierte diesen Verstoß gegen die modische Etikette allerdings durch einen besonders großen Knoten in der seidenen Krawatte.
Er betrachtete sich recht zufrieden im Spiegel. Wenn es ihm gelänge, an das Gold zu kommen, würde er solche Anzüge für den Rest seines Lebens tragen können. Als er nach unten ging, kam ihm plötzlich die Frage in den Sinn, welchen Eindruck er mit dieser Staffage auf Rose machen würde. Verwundert über sich selbst schüttelte er den Kopf. Dieses Mädchen spukte häufiger, als es für ihn gut war, in seinen Gedanken herum und verdrängte Wichtigeres.
In der Villa war alles noch ruhig, was ihn nicht weiter überraschte, denn er wusste aus Erfahrung, dass auch das Hauspersonal selten vor dem Mittag aktiv wurde. In der Küche traf er einige chinesische Putzfrauen an, die auf sein Erscheinen erschrocken reagierten. Sie hatten Angst davor, er würde Clara davon berichten, dass sie sich ein wenig verplaudert hatten. Aber nachdem er mit ihnen einige Anzüglichkeiten ausgetauscht hatte, wussten sie, dass sie in dieser Richtung nichts zu befürchten hatten, und bereiteten ihm ein improvisiertes Frühstück.
In der großen Garage hinter der Villa standen mehrere Autos. Hagen entschied sich für den alten, schon recht verbeulten Lieferwagen, der kaum auffallen würde, und fuhr mit ihm hinunter ins Hafenviertel. Während der Fahrt überlegte er sich eine Verhandlungstaktik für das Gespräch mit Charlie. Er parkte den Wagen in einer Seitenstraße und betrat die Kneipe durch den Hintereingang.
Das Lokal war noch nicht geöffnet. Ein baumlanger, melancholisch wirkender Neger sang leise vor sich hin, während er den Boden wischte. Als er Hagen bemerkte, huschte ein freundliches Grinsen über sein Gesicht. »Tag, Mr. Hagen. Wie geht's denn so?«
Hagen lächelte ebenso freundlich zurück. Die beiden Männer empfanden ein gewisses Maß an Verbundenheit, da sie beide aus den Staaten stammten. »Hallo, Harry. War Charlie schon hier?«
»Aber Mr. Hagen, Sie wissen doch selbst, dass er sich nie vor zwölf blicken lässt.«
»Stimmt, aber ich muss was Wichtiges mit ihm besprechen. Ich
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