Das Dunkel der Lagune
nebeneinander, ihre Knie berührten sich. Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, unterhielten sie sich bei einer Zigarette. Inzwischen trommelten Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Nach einer kurzen Gesprächspause fragte sie plötzlich: »Du liebst das Meer, nicht wahr?«
Er überlegte erst einen Augenblick. »Ich glaub ja. Es war für mich immer eine Art Zufluchtsort. Schon in meiner Jugend, wenn ich vor den Wutausbrüchen meines Vaters in mein Schlauchboot floh und damit in einer Bucht vor Connecticut herumschipperte, und in den letzten Jahren, wenn ich mit der Hurrier aufs Meer hinausfuhr. Die See ist so etwas wie meine Heimat. Sie ist genau wie eine Frau, die launisch, unzuverlässig, manchmal sogar grausam und hinterlistig ist, was aber nicht heißt, dass man sie deshalb weniger liebt oder sie ihre Faszination verliert.«
»Danke für diesen überaus treffenden Vergleich. Du besitzt ja ein verborgenes Talent zum Philosophen.«
Er verzog das Gesicht. »Ja ja, das zweite Ich des Mark Hagen. Ich werd sentimental auf meine alten Tage.« Er ging an den kleinen Kartentisch, knipste eine kleine Lampe an, überprüfte noch einmal seine Berechnungen.
»Wenn ich keinen Fehler gemacht habe, fahren wir in der nächsten Viertelstunde in die Hainan-Straße ein. Könnte kritisch werden.«
»Soll ich die anderen wecken?«
»Nein, nicht nötig. Die könnten auch nicht helfen.« Angestrengt starrte er hinaus in die Dunkelheit. Als der Regen für einen Augenblick nachließ, konnte er Hainan erkennen. »Schau mal dort rechts aus dem Fenster«, forderte er sie auf. »Dort an Steuerbord müsstest du irgendwann den Leuchtturm auf der Halbinsel Lui-Chow sehen – wenn er noch funktioniert, was man bei den Rotchinesen ja nie weiß.«
Nach halbstündiger Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit hatten sie den Leuchtturm noch immer nicht gesichtet. Dafür gab es eigentlich nur die Erklärung, dass er nicht funktionierte, doch Hagen wurde trotzdem leicht unruhig. Plötzlich riss der Regenvorhang für einen Moment auf, gab den Blick frei auf eine unregelmäßige Kette von Lichtpunkten und schloss sich dann sofort wieder. »Alles klar«, stellte Hagen erleichtert fest. »Das war Kiung Chow, eine Hafenstadt auf Hainan. Wir sind genau auf Kurs.«
»Und wie geht es weiter?«
»Jetzt fahren wir erst mal anderthalb Stunden mit Volldampf weiter und schauen dann, ob wir ein Leuchtfeuer an Steuerbord erkennen. Gott sei Dank haben wir dieses Wetter. Unsere Chancen werden dadurch etwas größer.«
Das Tuckern des Motors vermischte sich mit dem Prasseln der Regentropfen gegen die Fenster. Nach einer Weile schlief Rose ein, den Kopf an Hagens Schulter gelehnt.
Hagen starrte weiter in die Dunkelheit, bis ihm die Augen brannten und er sie nur noch mit Mühe offen halten konnte. Um Viertel nach sechs weckte er sie sanft und trug ihr auf, an Steuerbord Ausschau zu halten. Nach fünf Minuten entdeckte sie einen schwachen Lichtpunkt. »Das ist Kap Kami«, erklärte er ihr. »Wir sind jetzt fast durch. In ungefähr zehn Minuten sollten wir Lamko an Backbord passieren. Dann haben wir's geschafft.«
Alles schien genau nach Plan zu verlaufen. Exakt zum vorausberechneten Zeitpunkt blinkte der Leuchtturm von Lamko auf. Hagen änderte daraufhin sofort den Kurs. Zwanzig Minuten fuhren sie noch mit hoher Geschwindigkeit weiter, bevor Hagen das Tempo drosselte und sich mit einem Seufzer der Erleichterung zurücklehnte. »Das war's, meine Kleine. Wir sind durch.«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Was geschieht nun?«
»Von jetzt an machen wir nichts anderes, als gemütlich weiterzutuckern und zu hoffen, dass uns bis Einbruch der Dunkelheit niemand sieht.«
Der Regen ließ allmählich nach, und es wurde zusehends heller. Leichter Nebel hing über dem Meer, ein frischer Wind blies, doch Hagen spürte die Kälte nicht. Er öffnete ein Fenster und sog die Morgenluft ein. Als er Rose bitten wollte, zu ihm zu kommen, fiel ihm plötzlich auf, wie müde und abgespannt sie aussah. »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er besorgt.
Sie versuchte zu lächeln, doch sie konnte ihre Furcht und Verzweiflung nicht mehr überspielen. »Ach, Mark, ich bin froh, wenn dies alles vorbei ist. Ich bete zu Gott, dass wir das alles bald hinter uns haben.«
Sie wandte sich abrupt um, öffnete die Tür und rannte unter Deck. Einen Augenblick sah Hagen ihr durch die wegen der Schaukelbewegung des
Weitere Kostenlose Bücher