Das Dunkel der Lagune
befestigt war, über Bord, zog ihn wieder an Deck und kippte ihn dem Iren über den Kopf. Nach einer Weile schien er zu sich zu kommen. »Pass einen Moment auf ihn auf«, rief Hagen und kletterte hinunter in den Maschinenraum. Er wusste, welche Raffinesse Gewohnheitstrinker an den Tag legten, wenn es darum ging, einen geheimen Vorrat anzulegen, doch die über Jahre mit O'Hara gesammelten Erfahrungen kamen ihm zugute. Er suchte an den unmöglichsten Orten und stieß schließlich auf ein Ölfass, das hohl klang. Als er den Deckel entfernte, entdeckte er darin einen Karton mit Flaschen. Er trug den Karton nach oben, stellte ihn an der Heckreling ab, nahm einige Flaschen heraus und sah sie sich genauer an: ein billiger Fusel mit fantasievoller Bezeichnung, der todsicher zur Leberzirrhose führte. Eine Flasche nach der anderen ließ er über Bord fallen. O'Hara war inzwischen so weit nüchtern, dass er bemerkte, was da vor sich ging.
Mühsam kam er auf die Beine. »Nein! Hör auf damit! Aber doch nicht alle!«
Hagen drehte sich zu ihm um und erklärte mitleidlos: »Ich habe dich gewarnt. Wer nicht hören will, muss fühlen, sagt man. Ich behalt zwei Flaschen, aus denen du einen Schluck kriegst, wenn ich's für richtig halte. Der Rest geht über Bord.« Er gab Rose die beiden Flaschen, hob dann den Karton auf und warf ihn ins Wasser.
O'Hara fiel ihn von hinten an, schrie etwas Unverständliches. Seine knochigen Finger schlossen sich um Hagens Hals. Hagen wirbelte herum, stieß den Alten von sich weg, schlug ihm mit der flachen Hand mehrmals ins Gesicht. »Jetzt hör auf damit, und reiß dich zusammen.«
O'Hara winselte wie ein kleines Kind. Als Hagen ihn losließ, sank er auf das Deck. Rose kniete sich neben ihn, legte ihm beschützend einen Arm um die Schulter und sah mit schmerzerfülltem Blick zu Hagen hoch. »War das notwendig? Er ist doch ein alter Mann.«
Während sich Hagen noch eine passende Antwort überlegte, stoppte die Maschine, und das Schiff wurde langsamer. In die plötzliche Stille dröhnte Masons Stimme. »Stimmt, Hagen, er ist ein alter Mann. Warum nimmst du's nicht mal mit jemandem auf, der ungefähr so alt ist wie du?«
Die Herausforderung war unmissverständlich ausgesprochen worden. Mason baute sich in voller Größe auf und strotzte vor Selbstvertrauen. Hagen winkte seinem Kontrahenten aufmunternd zu, und Mason kam mit federnden Schritten auf ihn zu.
Hagen nahm die Mütze ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und wartete ab. Er betrachtete die ganze Angelegenheit ungewöhnlich distanziert. Natürlich musste er sich der Herausforderung stellen, daran gab es nichts zu deuteln, denn der Erfolg des ganzen Unternehmens hing davon ab. Mason handelte nicht aus Ritterlichkeit, um einen alten Mann zu verteidigen; nein, er hatte die sich ihm unverhofft bietende Gelegenheit ergriffen, weil er eine Möglichkeit sah, Hagen auszuschalten.
Mason kam in Boxerhaltung mit geballten Fäusten auf ihn zu. Hagen blieb ganz ruhig. Er sehnte den Kampf beinahe herbei, denn nun konnte er sich endlich zur Abwechslung einmal mit etwas Konkretem auseinander setzen. Als Mason den ersten Schlag anbringen wollte, packte Hagen ihn am Handgelenk und setzte einen Judowurf an. Im nächsten Moment flog er selbst durch die Luft und knallte anschließend mit voller Wucht auf das Deck. Sein Wurf war klassisch gekontert worden.
Mason trat grinsend einen Schritt zurück, bereit zum Angriff. »Steh auf, du Arschloch. Langsam macht mir die Sache nämlich richtig Spaß.«
Hagen rappelte sich hoch und lehnte sich gegen die Wand des Deckshauses. Alles um ihn herum verschwamm ihm vor den Augen; er fühlte sich völlig kraftlos. Als Mason auf ihn zukam, floh er an der Wand entlang. Er wusste, dass sein Gegner, der wütend nach ihm schrie, ihn in Grund und Boden stampfen würde, wenn ihm nicht bald etwas einfiel. Als er um die Ecke des Deckshauses taumelte, ließ er sich deshalb plötzlich fallen, sodass Mason, der ihm hart auf den Fersen war, über ihn stolperte und auf das Deck aufschlug. Hagen war als Erster wieder auf den Beinen und begann damit, Mason systematisch mit Fußtritten zu bearbeiten. Mit einem Mal dröhnte es so stark in seinen Ohren, dass er nichts mehr wahrnahm außer dem Wunsch, Mason zu vernichten.
Durch das Dröhnen hindurch hörte er eine Stimme. »Mark, hör auf! Du bringst ihn ja um!« Dann fühlte er, wie er von seinem Kontrahenten weggezogen wurde. Er registrierte
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