Das Dunkel der Lagune
Griff lockerte und die gasgefüllte Leiche an die Oberfläche schoss. Langsam folgte er ihr nach oben.
Er stieß gegen den Rumpf der Hurrier ; Hände streckten sich ihm entgegen, zogen ihn an Bord. Er blieb ermattet auf dem Deck liegen, ließ es geschehen, dass man ihm die Taucherausrüstung abnahm und ihn in eine Decke hüllte. Es war schon fast dunkel, doch er konnte dennoch erkennen, dass Rose kreidebleich im Gesicht war, als sie sich über ihn beugte. »Ist sie hochgekommen?«, krächzte er.
Sie nickte nur.
»Hochgekommen?«, meldete sich Mason zu Wort. »Hochgeschossen wie eine Rakete ist sie. Ich bin erschrocken wie noch nie zuvor in meinem Leben.«
»Da zieht sie nun dahin«, sinnierte O'Hara. Hagen erhob sich mühsam und sah Chang auf das Schilf zupaddeln, die Leiche seines Bruders an einer Leine hinter dem Kanu herziehend.
Der Fischer drehte sich um und winkte. »Morgen werde ich zurückkommen, mein Herr«, versprach er, bevor er im Röhricht verschwand.
Als Hagen auf wackeligen Beinen zur Kajüte ging, fiel ihm plötzlich etwas ein. Er wandte sich zu den anderen um und schnitt eine Grimasse. »Hätt ich fast vergessen. Es ist da – das Gold, mein ich. Wartet nur darauf, dass wir's hochholen. Sollte höchstens ein paar Stunden dauern.«
Als er in die Kajüte wankte, erscholl hinter ihm ein aufgeregtes Stimmengewirr. Er ließ sich auf die Koje fallen, war so erschöpft, dass er nicht einmal mehr die Kraft aufbrachte, unter die Decke zu schlüpfen. Er lag auf seiner Schlafstatt, versuchte noch eine Zigarette zu rauchen. Als ihm die Lider zufielen, nahm ihm jemand die Zigarette aus den Fingern und deckte ihn zu. Warme Lippen berührten die seinen; er roch den Duft ihres Haares, und dann umfing ihn völlige Dunkelheit.
9. Kapitel
Hagen erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Er lag im Halbdunkel der Kajüte und fragte sich, wo und wer er eigentlich war. Diese Ratlosigkeit war ihm nicht unbekannt – er hatte sie bereits während des Krieges häufig empfunden, stets nach Zeiten großer körperlicher wie geistiger Anspannung. In den zwei, drei Minuten dieser Orientierungslosigkeit fühlte er sich äußerst unwohl in seiner Haut, doch nachdem er seine Gedanken geordnet und sich wieder erinnert hatte, war er wieder ganz der Alte.
Ihn fröstelte, als er aus der Koje stieg und seine Füße den kalten Boden berührten. Mason und O'Hara schliefen noch fest. Hagen öffnete leise die Tür und ging hinauf auf Deck.
Er stand an der Reling und blickte über die im Morgendunst liegende Lagune, die zum Schwimmen einlud. Langsam ließ er sich ins Wasser gleiten. Es war im ersten Moment so kalt, dass er am liebsten umgekehrt wäre, doch dann kraulte er trotzdem hinüber bis zum Schilf am Rand der Lagune. Als er nach einigen Minuten wieder an Bord kletterte, lag ein Handtuch auf dem Deck. Während er es noch verwundert anstarrte, kam Rose mit der Kaffeekanne und zwei Bechern aus der Kombüse. »Guten Morgen, Mark. Hast du gut geschlafen?«
»Es ging«, erwiderte er und rieb sich mit dem Handtuch trocken. An seinem Körper waren die Spuren des Kampfes mit Mason noch deutlich zu erkennen, und außerdem hatte er sich seit der Abfahrt aus Macao nicht mehr rasiert. »Du siehst recht verwildert, ja gefährlich aus«, stellte sie fest und reichte ihm den Kaffeebecher.
Er hängte sich das Handtuch über die Schultern und setzte sich auf die Luke zum Maschinenraum. »Wie eine Romanfigur von Hemingway?«
Rose kicherte und blinzelte ihn schalkhaft an. Sie nahm neben ihm Platz und blickte gelöst und entspannt in die morgendliche Stille. »Das Leben kann wirklich schön sein.«
In diesem Augenblick empfand er das allererste Mal etwas ganz Außergewöhnliches für sie. Nicht körperliches Begehren, sondern ein anderes, ihm unbekanntes Gefühl von solcher Intensität, dass ihm angst wurde. Urplötzlich drängte sich ihm die Erkenntnis auf, dass es an der Zeit war, ihr gegenüber ganz offen und ehrlich zu sein. Nervös drehte er den Becher in den Händen. »Rose, ich muss dir was sagen«, begann er stockend. »Wir müssen da was klären.«
Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn erwartungsvoll an. Hagen suchte nach Worten, fand sie aber nicht mehr rechtzeitig, denn Masons Stimme erscholl aus dem Kajüteneingang: »Morgen, ihr Frühaufsteher.«
Er setzte sich zu ihnen auf die Luke. Rose stand auf, um ihm eine Tasse aus der Kombüse zu holen.
Mason bot Hagen
Weitere Kostenlose Bücher