Das Dunkel der Lagune
die Anschuldigung zurückzuweisen. Sie hätte ihm geglaubt, weil sie ihm gerne glauben wollte. Doch plötzlich war er es leid, unaufrichtig zu sein. Er senkte schuldbewusst den Blick, tastete nach der Zigarettenschachtel auf dem Tisch. »Nein, Kleines, er hat Recht. Der Kerl sagt die volle Wahrheit.«
Rose wandte sich von ihm ab. Er hatte damit gerechnet, dass sie heftig reagieren, ihn ohrfeigen würde, doch nichts dergleichen geschah. Als er den Kopf hob, sah er, dass sie mit trotziger Miene ins Leere starrte. »Sie werden von uns keine Hilfe bekommen«, erklärte sie stockend. »Von keinem von uns.« Sie drehte sich um, schaute Hagen direkt in die Augen.
Er wich ihrem Blick nicht aus. Es überkam ihn ein seltsamer Fatalismus. »Sie hat Recht, Kossoff. Du kannst den Sumpf allein absuchen, von jetzt an bis in alle Ewigkeit.«
Kossoff verbeugte sich vor Rose. »Respekt, meine Liebe. Sie sind eine bemerkenswerte junge Frau.« Er gab Tsen einen Wink, worauf dieser nickte und den Raum durch die Vordertür verließ.
Hagen fühlte sich plötzlich sehr müde, aber irgendwie auch auf seltsame Art glücklich und zufrieden. Von Anfang an hatte er tief in seinem Innern gewusst, dass das Mädchen niemals damit einverstanden sein würde, dass das Gold für einen anderen als den für ihn bestimmten Zweck verwendet werden würde. Der Vater von Rose hatte dafür sein Leben gelassen. Ihm war das Gold anvertraut worden, und nach seinem Tod war diese Verantwortung auf sie übergegangen. Hagen lächelte. Nicht zu glauben, dass er in dieser Welt jemanden gefunden hatte, der noch nach festen Grundsätzen lebte. Ehre und Ehrlichkeit! Es war lange her, dass er sich gezwungen hatte, die mit diesen Begriffen verbundenen Konsequenzen zu überdenken und sie vor allem zu ziehen.
Draußen wurde ein Kommando gegeben. Kossoff machte eine einladende Geste. »Bitte kommen Sie mit auf die Veranda. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Sie gingen nach draußen und blieben auf der obersten Stufe stehen. Etwa zehn Meter von ihnen entfernt hatten vier Soldaten Haltung angenommen. Ein Fischer aus dem Dorf war nackt mit dem Gesicht nach unten und mit gespreizten Gliedmaßen auf dem Boden festgepflockt worden. Hauptmann Tsen stand einige Schritte von ihm entfernt. Er hielt einen ungefähr einen Meter langen Bambusstab mit einem nadelspitzen Ende in der Hand. Auf Kossoffs Nicken hin kniete sich Tsen neben den bemitleidenswerten Fischer.
Rose wandte sich sofort ab und wollte zurück in die Hütte laufen, doch Kossoff versperrte ihr den Weg. Die Schreie waren zum Steinerweichen. Starr vor Entsetzen über die unglaubliche Brutalität sah Hagen einige Sekunden lang zu, schaute dann Kossoff an. Der Russe beobachtete die Szene beinahe desinteressiert, ließ sich nicht die Spur sadistischen Vergnügens anmerken, Er schnarrte ein Kommando. Zwei Soldaten marschierten herbei und postierten sich unten an der Treppe. Hagen wurde blass. »Folgen Sie mir«, forderte Kossoff sie auf.
Sie überquerten den Platz und liefen hinüber zu der Hütte, in der Hagen aus der Bewusstlosigkeit erwacht war. »Was jetzt?«, wollte er von Kossoff wissen.
Vor der Hütte blieben sie stehen. Der Russe sah ihn mit todernster Miene an. »Sie haben eine halbe Stunde Zeit. Das Mädchen kann bei Ihnen bleiben. Vielleicht helfen ihr die Attraktionen, die drinnen auf sie warten, eine Entscheidung zu fällen.« Er drehte sich um und zeigte auf die Gruppe vor der Hütte des Dorfältesten. »Ich will Ihnen nicht drohen, aber wenn ich in einer halben Stunde zurückkomme und Sie nicht bereit sind, mich zu Ihrem Kutter zu führen, ist einer von Ihnen als Nächster dran.« Seine Augen funkelten seltsam, als er hinzufügte: »Glauben Sie mir, Hagen, ich möchte es nicht tun. Bringen Sie mich nicht so weit, dass ich nicht anders kann.« Er entfernte sich, und die beiden Soldaten stießen Hagen und Rose in die Hütte und verriegelten die Tür.
Hagen führte sie in die Ecke, die von den beiden Leichen am weitesten entfernt war, und nahm die verzweifelte Rose, die hemmungslos schluchzte, in die Arme. Nach einer Weile schien sie sich etwas erholt zu haben, doch ihrer Stimme war dennoch anzumerken, wie sehr sie unter dem Eindruck der Ereignisse stand. »Ich kann einfach nicht glauben, was ich dort gesehen habe. Es war wie eine Szene aus einem schrecklichen Alptraum.«
Er setzte sich in die Ecke und zog sie zu sich herab. »Mach dir keine Sorgen. Es wird dir
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