Das Dunkel der Lagune
Paar ab.« Auch sie musste nun lachen, und auf einmal war ihm alles egal. Er ergriff ihren Arm und zog sie aus der Bar. »Etwas können wir noch machen, und das ist zu Mittag essen. Wenn man was Anständiges im Magen hat, sieht die Welt immer gleich viel freundlicher aus.«
Auf dem Weg zum Speisesaal plauderte er munter weiter, und als sie am Tisch saßen, sah sie schon wieder vergnügt aus. Während des Essens sprachen sie kaum. Hagen ertappte sich dabei, dass er sie bei jeder Gelegenheit heimlich beobachtete. Ein- oder zweimal fing sie seinen Blick auf und errötete.
»Das war gut«, sagte sie schließlich. »Ich könnte keinen Bissen mehr herunterbringen.«
Hagen schlug vor, noch einen Drink auf der Terrasse zu nehmen. Unter ihnen lag Macao. Der Ausblick reichte über das blaue Meer bis nach Kowloon und zum chinesischen Festland. »Wunderschön«, sagte er leise.
Sie nickte. »Es ist eine hübsche Stadt. Sehr hübsch sogar.«
Als der Ober die Getränke brachte, hielt sie einen Moment lang inne. Hagen spürte, dass sie ihm von sich erzählen wollte.
Er kam ihr mit einer einfachen Frage entgegen, weil sie immer noch zögerte. »Bist du schon lange hier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Erst drei Wochen, seit ich hier im Hotel bin.« Sie blickte zum Hafen hinüber. »Ich hätte wohl ein billigeres nehmen sollen, aber als Mädchen und ganz allein? Es ist alles sehr schwierig.«
Hagen legte seine Hand sanft auf die ihre. »Warum redest du denn nicht mit mir drüber? Ich weiß schon, dass es etwas mit unseren roten Freunden da drüben zu tun hat.«
Sie setzte sich auf und schaute ihn angsterfüllt an: »Woher wissen Sie das?«
Er erklärte es ihr kurz. »Also«, schloss er, »ich bin schon so tief in der Sache drin, dass auf mich geschossen wird. Da könntest du mir wenigstens sagen, worum's eigentlich geht.«
Sie starrte eine Weile auf den Tisch, knetete nervös die Hände und begann schließlich zu reden. »Ich bin aus Indochina, aus dem Norden. Meine Mutter stammte von dort. Mein Vater war Schotte. Ich ging in Indien zur Schule, verbrachte dort die Kriegsjahre. Danach kehrte ich auf die Plantage meines Vaters zurück. Er war während des Krieges bei irgendeiner Sondereinheit in Malaysia. Die Lage hatte sich gerade wieder etwas entspannt, als es mit den Franzosen und der Vietminh losging.«
Hagen nickte. »Das muss ziemlich schlimm gewesen sein. Insbesondere für euch im Norden.«
»Ja, es hätte nicht schlimmer sein können. Nach kurzer Zeit war das ganze Land um uns herum von Kommunisten besetzt. Zuerst ließen sie uns in Ruhe, aber eines Tages …«
Einen Augenblick schien es, als fiele es ihr schwer, die rechten Worte zu finden. Sie wandte den Blick ein wenig ab. Hagen griff wieder nach ihrer Hand, drückte sie fest. »Red weiter, Kleines.«
Sie lächelte angestrengt. »Meine Mutter. Sie haben meine Mutter umgebracht. Vater und ich waren an dem Tag nicht da. Gerade als wir nach Hause kamen, wollten die drei kommunistischen Soldaten gehen. Mein Vater hatte ein Gewehr. Er hat sie erschossen.«
Sie blickte über das Meer, in die Vergangenheit. »Er tat das sehr professionell. Er muss Furchtbares im Krieg erlebt haben.«
»Trink aus«, empfahl Hagen. »Brandy ist der beste Seelentröster, den ich kenne.«
Sie stürzte den Brandy zu schnell hinunter, rang nach Luft und verzog das Gesicht. »Vater konnte es sich nicht verzeihen, dass er uns nicht früher weggebracht hatte. Wissen Sie, er hatte nämlich schon lange die Vorbereitungen dazu getroffen. Er hatte eine Barkasse an einem nahe gelegenen Fluss versteckt und wir wollten flussabwärts bis zur Küste fahren, und von dort aus nach Süden, nach Hanoi.«
»Warum hat er das dann so lange hinausgezögert?«, fragte Hagen.
Rose tauchte einen Finger in den verschütteten Brandy und zeichnete ein feines Muster. »Weil er versprochen hatte, noch etwas mitzunehmen, und es war noch nicht da.«
Hagen trank einen Schluck Brandy. »War es denn so wichtig?«
»Wenn Sie eine viertel Million Dollar wichtig nennen
wollen«, antwortete sie gelassen.
Hagen trank seinen Brandy aus und stellte das Glas ganz vorsichtig ab. »Wie viel hast du gesagt?«
Sie lächelte. »Ich übertreibe nicht. Eine viertel Million – in Gold. In der Nähe der Plantage lag ein buddhistisches Kloster. Den Mönchen gehörte das Gold. Sie wussten, dass die Kommunisten früher oder später kommen
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