Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
Untergebenen im Notfall auch vernichten.
»Diese Vorsichtsmaßnahmen sind nötig, wenn unsere Mitglieder sich im Reich der Metamorphose befinden, aber nicht, wenn sie nach unten zurückgekehrt sind.«
»Und was ist dann mit Calliope passiert?«
»Sie ist genau in dem Moment geflohen, in dem die Kette ihre Macht über sie verloren hat – als sie eigentlich in die Unterwelt zurückkehren sollte. Stattdessen hat sie die Flucht ergriffen. Schwer zu glauben, aber das ist wirklich zum ersten Mal passiert. Normalerweise reguliert die Kette den Fluss des Teufelsblutes aus der Tätowierung und verhindert eine Überdosis. Aber als Beckett sie ihr abgenommen hatte, ging ihr Zerfall rasend schnell voran. Und sie wusste, dass es so kommen würde – sie hatte wohl geplant, so dramatisch auf den Stufen des Hotels zu sterben. Um damit ein Zeichen zu setzen.« Er schüttelte den Kopf, als würde er ihren Tod wirklich bedauern. »Hüte dich vor Beckett. Der ist jetzt hinter meinem Job her, und ich befürchte, er gehört bald ihm …« Lucian verstummte.
Mehr brauchte er auch gar nicht zu sagen. Mir war schon klar, dass er mit jedem einzelnen Wort sein Schicksal endgültiger besiegelte. Am meisten verwirrte mich die Frage, wie eine Seele überhaupt gekauft und verkauft werden konnte. Er lachte leise, als ich danach fragte, was mich vermuten ließ, dass ihn meine Naivität amüsierte – denn scheinbar war das ja wohl ein triebhafter, lüsterner Akt, und davon hatte ich herzlich wenig Ahnung.
»Du brauchst dich gar nicht lustig zu machen«, knurrte ich.
»Ich lache ja nur, weil das so viel einfacher ist, als die Leute sich das vorstellen. Das läuft bei jeder Seele anders, aber ehrlich gesagt genügt schon eine mündliche Vereinbarung.«
»Oh«, sagte ich. Wie peinlich.
»Wer hat hier denn nun die schmutzige Fantasie?«, fragte er verschmitzt. »Ausreichend ist schon ein zum Ausdruck gebrachter tiefer Wunsch, egal was für einer, und dann die Bereitschaft, alles dafür aufzugeben. So einfach ist das. Wir können niemandem gegen seinen Willen die Seele nehmen, der Betreffende muss zustimmen. Man muss aus freien Stücken zur dunklen Seite übertreten. Und sobald du das tust, sobald du laut aussprichst, dass du für die Erfüllung deines Traumes alles geben würdest, egal was, dann ist die Sache schon fast erledigt. Es gibt einen Prozess, der ›Kodierung‹ genannt wird, und er zeigt uns an, dass eine Seele dazu bereit ist, von uns übernommen zu werden. Dann wird alles mit Blut und der Tätowierung besiegelt. Von dem Punkt an wird man komplett kontrolliert. Keine zwei Seelen werden zum gleichen Preis verkauft, es handelt sich jedes Mal um eine ganz neue Abmachung. Deinem Vorrat da oben zufolge«, erklärte er mit schuldbewusster Stimme, »weißt du wohl schon, dass das Essen und Trinken hier mit gewissen Verstärkern durchsetzt wird, die das Urteilsvermögen trüben. Selbst die Blumen in der Lobby tragen ihren Teil bei und brechen den Widerstand. Und«, bei diesen Worten wandte er den Blick ab, »ich kann nicht abstreiten, dass wir manchmal mit gewissen … Sympathiebekundungen nachhelfen, aber das ist nur ein zusätzlicher Anreiz und für den Verkauf nicht erforderlich.«
»Also lag ich damit doch nicht so ganz falsch«, erwiderte ich kühl.
»Die Sache ist aber nicht endgültig, solange der Vertrag nicht unterzeichnet ist. Erst damit wird das Schicksal besiegelt.«
»Wie … zivilisiert.«
Ihm entging nicht, dass ich langsam die Geduld verlor und wieder Wut in mir aufstieg. Und es stimmte schon, ich steckte in einem Teufelskreis. Einerseits wollte ich einfach alles hören, andererseits wurde ich dabei ständig von Emotionen überwältigt, die ich nicht unter Kontrolle hatte.
»Ich habe auch eine Frage für dich«, sagte Lucian mit weicher Stimme, um meinen brodelnden Zorn zu besänftigen. »Weißt du eigentlich, was du bist?«
»Ich denke schon. Auch wenn ich es kaum fassen kann.«
»Und trotzdem stimmt es, Haven.« Er beugte sich vor und suchte im dämmrigen Licht meinen Blick. »Du lernst zwar immer noch dein Handwerk, aber du bist ein Engel, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.« Lucian schwieg einen Moment. Als sie nun endlich laut ausgesprochen wurden, lag so viel Gewissheit in diesen Worten. In meinem Kopf ergaben sie zwar immer noch keinen Sinn, aber ich konnte sie jetzt trotzdem akzeptieren. Ich würde sie als Wahrheit hinnehmen, als fehlendes Puzzleteil, das all die seltsamen Dinge in meinem Leben vereinte,
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