Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
die bislang nicht zusammengepasst hatten. »Und deshalb trägst du auf dem Rücken und über dem Herzen auch diese Zeichen.«
»Woher weißt du denn davon?« Die Narbe auf der Brust hatte ja mein Foto gezeigt, aber die auf dem Rücken war immer bedeckt gewesen.
»Das liegt daran, dass ich selber mal welche hatte.« Diese Gemeinsamkeit war schon schockierend genug. Dass er von den Narben in der Vergangenheit sprach, wunderte mich aber, und das sah er mir wohl an. »Vor ein paar Jahren war ich wie du. Ich war auserwählt, Gutes zu tun, und hätte diesen Weg einschlagen können, war aber zu schwach. Deshalb bin ich in Aurelias Fänge geraten. Und jetzt bin ich hier. Wenn du dieselben Entscheidungen triffst wie ich, dann verschwinden die Narben. Äußerlich ist man dann ohne Makel, innerlich beginnt man aber zu faulen und diesen Fotos zu ähneln. Aurelia war auch auserkoren.«
»Das hat sie mir erzählt.« Es stimmte also.
»Daher unser schneller Aufstieg. Wer diese Narben trägt, hat Macht und ist zum Anführer auserkoren. Man steht weit über dem Syndikat. Aber du entscheidest selbst über dein Schicksal – Engel oder Teufel. Aurelia hat der Fürst schon vor langer, langer Zeit angeworben. Und dann hat sie mich geholt. Vor zwei Jahren habe ich noch meinen Abschluss in Des Moines gemacht«, erklärte er. Offensichtlich erstaunte es ihn selbst, wie viel seitdem passiert war.
»Und wie kam das alles?«
»Ich bin da einfach irgendwie hineingeraten. Wahrscheinlich war ich so eine Art Wunderkind. Ich habe meinen Abschluss sehr früh gemacht und gleichzeitig schon ein paar Seminare an der Uni belegt. Mit meinen Noten aus den ganzen Fortgeschrittenenkursen und so weiter konnte ich dann am College ein halbes Jahr überspringen.«
»Wow!«
»So toll war das auch nicht. Auf der Highschool habe ich irgendwie nie richtig dazugehört. Ich war ein ziemlicher Außenseiter, und auf dem College sah es dann so aus, als würde es wieder genauso laufen. Ich hockte meistens allein in der Bibliothek. Apropos – hier in der Hotelbibliothek gehören die meisten Bücher mir.« Ich riss unwillkürlich die Augen auf, er sprach aber schon weiter. »Also tauchte Aurelia auf und …« Er unterbrach sich selbst: »Bist du sicher, dass du dir das antun willst?«
»Ja, ich denke, es wäre gut für mich.« Ich musste die ganze Geschichte hören, auch wenn sie mir nicht gefallen würde.
»Man hatte sie natürlich auf mich angesetzt. Ich traf sie auf einem Fest, einer der wenigen Partys, die ich je besucht habe. Ich hatte dort zwanzig Minuten herumgestanden und mit niemandem geredet und dann …«
»Wie soll das denn gehen?«, fiel ich ihm ins Wort, denn das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. »Wie kann denn jemand wie du auf einer Party erscheinen und dort niemanden zum Reden finden?«
»Darum geht es ja eben. Ich war nicht so, wie du mich jetzt vor dir siehst. Das war ich ohne die tollen Klamotten und das Selbstbewusstsein und Ansehen. Das alles war eben nicht da.«
»Sprich weiter.« Mir fiel es trotzdem schwer, mir das vorzustellen.
»Sie hat mich also angemacht. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung, und ich habe mich einfach mitreißen lassen. Sie schien da eine Methode zu kennen, mich in eine fantastische, mächtige Person zu verwandeln, und schwärmte mir vom Syndikat vor. Und da gab es nur, na ja, diesen winzig kleinen Haken. Aber da war es für mich längst zu spät – ich hatte schon zu viel von diesem neuen, aufregenden Leben gekostet, war süchtig nach der Macht und der ganzen schnellen Befriedigung. Vorher hatte ich mich einfach unsichtbar gefühlt. Wenn man den dunklen Pfad einschlägt, so wie Aurelia und ich, dann kehrt man seinem alten Leben bald den Rücken zu. Man bekommt einen neuen Namen, eine neue Identität.«
»Aber fragen sich die Leute denn nicht, wo du steckst? Hat nie jemand versucht, dich zu finden?«
»Der Grundstein wird lange vor der Einführung gelegt, man distanziert die Anwärter langsam von ihrer Familie. Es werden vorzugsweise junge Leute rekrutiert, die bald wegziehen, um aufs College zu gehen, oder die bereits auf eigenen Beinen stehen. Das Endziel besteht darin, die Reichen und Mächtigen der Stadt in ihren Bann zu ziehen, aber im Moment wird erst einmal versucht, die Mitgliederzahl zu erhöhen. Oft lässt man die Angehörigen in dem Glauben, die betreffende Person sei gestorben. Von all dem bekommen die Rekruten allerdings nichts mit – sie gehen viel zu sehr in ihrem neuen Leben
Weitere Kostenlose Bücher