Das dunkelste Blau
einzuladen. Das wird ein Spaß werden, dachte ich, als wir wegfuhren. Als wir außer Sichtweite waren, zog ich meine verschwitzte Jacke aus. Wenn wir bei Freunden in den USA gewesen wären, hätte es nichts ausgemacht, wie meine Arme aussahen. Aber andererseits, wenn wir noch dort gewesen wären, hätte ich auch keine Psoriasis.
»Hey, die waren nett, nicht?« begann Rick unsere rituelle Bestandsaufnahme.
»Sie haben den Wein und die Blumen nicht angerührt.«
»Ja, aber mit so einem Weinkeller ist das kein Wunder! Tolles Haus.«
»Ich habe eigentlich nicht so über ihre materiellen Besitztümer nachgedacht.«
Rick sah mich von der Seite an. »Du scheinst dich da nicht so wohl gefühlt zu haben, Schatz. Was ist los?«
»Weiß nicht. Ich hab nur das Gefühl . . . das Gefühl, daß ich nicht reinpasse , das ist alles. Ich scheine hier nicht mit Leuten reden zu können, wie ich das zu Hause kann. Bis jetzt ist die einzige Person außer Madame Sentier, mit der ich eine einigermaßen sinnvolle Unterhaltung hatte, Jean-Paul, und sogar das war keine Unterhaltung, sondern mehr wie ein Kampf, mehr wie –«
»Wer ist Jean-Paul?«
Ich versuchte, beiläufig zu klingen. »Ein Bibliothekar in Lisle. Er hilft mir, meine Familiengeschichte zu erforschen. Er ist gerade weg«, fügte ich unnötigerweise hinzu.
»Und was habt ihr zwei herausgefunden?«
»Nicht viel. Ein wenig von meinem Cousin in der Schweiz. Weißt du, ich dachte, wenn ich etwas mehr über meine französischen Wurzeln herausfinde, würde ich mich hier besser fühlen, aber jetzt glaube ich, daß das falsch ist. Die Leute sehen mich immer noch als Amerikanerin.«
»Du bist Amerikanerin, Ella.«
»Ja, ich weiß. Aber ein bißchen muß ich mich schon ändern, solange ich hier bin.«
»Warum?«
»Warum? Weil – sonst falle ich zu sehr auf. Die Leute wollen, daß ich so bin, wie sie es erwarten; sie wollen, daß ich so bin wie sie. Überhaupt kann ich auch gar nichts dagegen machen, ich werde doch durch die Landschaft um mich beeinflußt, durch die Leute und wie sie denken und durch die Sprache. Es wird mich verändern, wenigstens ein bißchen.«
Rick sah verwirrt aus. »Aber du bist doch du selber«, sagte er und wechselte die Spur so abrupt, daß die Autos hinter uns empört hupten. »Du brauchst dich doch wegen anderen Leuten nicht zu ändern.«
»Das ist es nicht. Es geht mehr darum, sich etwas anzupassen.Es ist wie . . . die Cafés hier haben keinen koffeinfreien Kaffee, also gewöhne ich mich daran, weniger echten Kaffee zu trinken, oder ich trinke gar keinen.«
»Ich hab meiner Sekretärin beigebracht, mir koffeinfreien Kaffee zu machen.«
»Rick –« Ich hielt inne und zählte bis zehn. Er schien meine Vergleiche absichtlich nicht zu verstehen und gab allem diesen positiven Anschein.
»Ich glaube, du wärst viel fröhlicher, wenn du dir nicht so viele Sorgen darüber machen würdest, wie gut du hineinpaßt. Die Leute werden dich so mögen, wie du bist.«
»Vielleicht.« Ich starrte zum Fenster hinaus. Rick versuchte nie, sich anzupassen, wurde aber trotzdem akzeptiert. Es war wie mit seinem Pferdeschwanz: Er trug ihn so selbstverständlich, daß niemand ihn deshalb für seltsam hielt. Ich dagegen fiel trotz aller Anpassungsversuche auf wie ein Wolkenkratzer.
Rick mußte noch für eine Stunde ins Büro; ich hatte vorgehabt, inzwischen zu lesen oder mit einem der Computer zu spielen, aber ich war so schlechter Laune, daß ich statt dessen spazierenging. Sein Büro war mitten im Stadtzentrum von Toulouse, in einer Gegend mit engen Gäßchen und Boutiquen, die jetzt voller Sonntagsspaziergänger und Schaufensterbummler war. Ich betrachtete die geschmackvolle Kleidung, den Goldschmuck und die kunstvoll gearbeitete Lingerie in den Schaufenstern. Der Kult um die französische Unterwäsche überraschte mich immer wieder; sogar kleine Orte wie Lisle-sur-Tarn hatten ein Spezialgeschäft dafür. Ich konnte mir kaum vorstellen, die ausgestellten Stücke tatsächlich zu tragen, die mit ihren geheimnisvollen Strapsen und Spitzen und Mustern die erogenen Zonen des Körpers besonders hervorhoben. Es war etwas ausgesprochen Fremdartiges an dieser formalistischen Erotik.
Tatsächlich waren die französischen Städterinnen so anders als ich, daß ich mir in ihrer Gegenwart oft klein und nichtig vorkam, wie eine zerzauste Bettlerin, die zurücktreten muß, wennsie vorbeigehen. Die Frauen, die in Toulouse spazierengingen, trugen gutgeschnittene Blazer und Jeans
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