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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Ella, dachte ich, es war traumatisch. Warum versuchst du ihn zu schonen?
    Rick wartete, daß ich weiterredete. Als nichts kam, seufzte er. »Okay, Ella, wenn du das so empfindest.« Er fing an, seine Zeichenstifte einzusammeln. »Ich will nicht, daß du das durchziehst, wenn du nicht ganz sicher bist.«
    Wir fuhren in einer seltsamen Stimmung nach Hause, beide aus verschiedenen Gründen erregt und beide durch mein schlechtes Timing ernüchtert. Wir waren gerade am Marktplatz in Lisle vorbeigekommen, als Rick den Wagen anhielt. »Warte kurz«, sagte er. Er sprang heraus und verschwand um die Ecke. Als er eine Minute später zurückkam, warf er etwas in meinen Schoß. Ich fing an zu lachen. »Das glaube ich nicht!« sagte ich.
    »O doch.« Er grinste teuflisch. Wir hatten uns oft über den vereinsamten Kondomspender auf einer der Hauptstraßen lustig gemacht und uns die Notfälle ausgemalt, die jemanden dazu bringen könnten, ihn zu benutzen.
    In dieser Nacht liebten wir uns und schliefen fest.
    An dem Tag, als Jean-Paul aus Paris zurückkam, war ich in meiner Französischstunde so unkonzentriert, daß Madame Sentier anfing, mich aufzuziehen.
    »Vous êtes dans la lune«, brachte sie mir bei. Dafür brachte ich ihr »The light’s on but nobody is home« bei. Einige Erklärungen waren nötig, aber als sie es verstanden hatte, lachte sie und war entzückt über meinen drôle amerikanischen Humor.
    »Ich weiß nie, was Sie als nächstes sagen werden«, sagte sie. »Aber wenigstens wird Ihr Akzent besser.«
    Schließlich ließ sie mich gehen und gab mir zusätzliche Hausaufgaben für die verschwendete Stunde.
    Ich beeilte mich, um den Zug zurück nach Lisle zu erwischen. Als ich zum Marktplatz kam und zum hôtel de ville hinübersah, zögerte ich jedoch plötzlich bei dem Gedanken, ihn zu sehen, so wie wenn man eine Party gibt und eine Stunde, bevor die Gäste kommen, am liebsten alles absagen will. Ich zwang mich, über den Platz zu gehen, in das Gebäude einzutreten, die Treppen hochzusteigen und die Tür zu öffnen.
    Mehrere Leute warteten vor dem Tresen. Beide Bibliothekare sahen hoch, als ich eintrat, und Jean-Paul nickte höflich. Ich setzte mich verlegen an einen Tisch. Ich hatte nicht damit gerechnet, warten zu müssen, ihm das mit so vielen Leuten drumherum zu erzählen. Ich fing halbherzig an, über Madame Sentiers Aufgaben zu brüten.
    Nach einer Viertelstunde wurde es etwas leerer, und Jean-Paul kam herüber. »Kann ich Ihnen helfen, Madame?« fragte er leise auf englisch und beugte sich vor, eine Hand auf dem Tisch aufgestützt. Ich war ihm noch nie vorher so nahe gekommen, und als ich hochsah, fing ich seinen besonderen Geruch ein, nach Sonne auf der Haut, und ich starrte auf seine stoppelige Kinnlinie und dachte, o nein. Nein, nicht das. Deshalb bin ich nicht hergekommen. Panik stieg in meiner Magengegend auf.
    Ich schüttelte mich und flüsterte: »Ja, Jean-Paul, ich habe –« Eine leichte Bewegung seines Kopfes ließ mich innehalten. »Ja, Monsieur«, verbesserte ich mich. »Ich habe etwas, das ich Ihnen gerne zeigen würde.« Ich gab ihm die Postkarte. Er warf einen Blick darauf, drehte sie um und nickte. »Ah, das Musée des Augustins. Haben Sie die romanische Skulptur gesehen, ja?«
    »Nein, nein, sehen Sie den Namen an! Den Namen des Malers!«
    Er las mit gesenkter Stimme vor: »Nicolas Tournier, 1590 bis 1639 .« Er sah mich an und lächelte.
    »Sehen Sie das Blau«, flüsterte ich und berührte die Karte. »Es ist das Blau. Und wissen Sie, der Traum, von dem ich Ihnen erzählt habe? Schon bevor ich das hier sah, wußte ich, daß ich von einem Kleid geträumt hatte. Von einem blauen Kleid. In diesem Blau.«
    »Ah, das Blau der Renaissance. Wissen Sie, es ist Lapislazuli in dem Blau. Es war so teuer, daß sie es nur für wichtige Dinge wie den Umhang der Jungfrau verwendeten.«
    Immer einen Vortrag parat.
    »Verstehen Sie denn nicht? Er ist mein Vorfahr!«
    Jean-Paul blickte sich um, verlagerte sein Gewicht auf dem Tisch und sah sich dann die Karte nochmals an.
    »Warum glauben Sie, daß dieser Maler Ihr Vorfahr ist?«
    »Wegen des Namens natürlich, und der Daten, aber vor allem wegen des Blaus. Es paßt genau zum Traum. Nicht nur die Farbe selber, auch die Atmosphäre darum herum. Dieser Blick in ihrem Gesicht.«
    »Sie haben das Gemälde nicht schon einmal gesehen, bevor Sie den Traum hatten?«
    »Nein.«
    »Aber Ihre Familie war zu dieser Zeit schon in der Schweiz. Dieser Tournier ist Franzose,

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