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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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bemerkte Isabelle die roten Hände, sah ihm genauer ins Gesicht und keuchte auf.
    – Das ist Monsieur Marcel, schrie sie, bevor sie sich zurückhalten konnte.
    Etienne schnalzte mit der Zunge und begann zu laufen und das Pferd mit sich zu ziehen, und sie ließen den Schreckensanblick hinter sich. Die Jungen sahen einige Male zurück, bis der Körper außer Sichtweite war.
    Danach war Marie ein paar Stunden lang still. Als sie wieder anfing, Dinge aufzuzählen, vermied sie alles, was von Menschen gemacht war. Als sie in ein Dorf kamen, wiederholte sie einfach: – Und da ist der Boden. Und da ist der Boden –, wieder und wieder, bis sie durchgefahren waren.
    Sie hatten an einem Bach angehalten, um das Pferd zu tränken, als ein alter Mann am anderen Ufer auftauchte.
    – Haltet hier nicht an, sagte er abrupt. Haltet gar nicht an, bis ihr nach Vienne kommt. Es ist schlimm hier. Und geht ja nicht in die Nähe von St. Etienne oder Lyon. Er verschwand im Wald.
    An diesem Abend hielten sie nicht an. Das Pferd ging erschöpft weiter, während Hannah und die Kinder im Karren schliefen und Etienne und Isabelle sich mit dem Führen abwechselten. Tagsüber versteckten sie sich in einem Kiefernwald. Als es dunkel war, schirrte Etienne das Pferd an und führte es zurück auf die Straße.
    Eine Gruppe Männer tauchte zwischen den Bäumen auf beiden Seiten der Straße auf und bildete einen Kreis um sie.
    Etienne brachte das Pferd zum Stehen. Einer der Männer zündete eine Fackel an; Isabelle sah, daß sie Äxte und Mistgabeln bei sich hatten. Etienne gab Isabelle die Zügel, griff in den Karrenund holte die Axt hervor. Er setzte sie auf dem Boden ab und hielt das Ende des Griffs fest.
    Alle standen bewegungslos. Nur Hannahs Lippen bewegten sich im stillen Gebet.
    Die Männer schienen unsicher, wie sie anfangen sollten. Isabelle starrte den an, der die Fackel hielt, und beobachtete, wie sein Adamsapfel auf und nieder hüpfte. Dann spürte sie ein Kitzeln im Ohr: Marie war zu ihr gekommen und flüsterte etwas.
    – Was ist? murmelte Isabelle, während sie den Mann nicht aus den Augen ließ und versuchte, ihre Lippen nicht zu bewegen.
    – Der Mann da mit dem Feuer. Sprich zu ihm von Gott. Sag ihm, was Gott von ihm will.
    – Was will Gott von ihm?
    – Gut zu sein und nicht zu sündigen, erwiderte sie fest. Und sag ihm, daß wir nicht hierbleiben.
    Isabelle befeuchtete sich die Lippen. Ihr Mund war wie ausgetrocknet.
    – Monsieur, begann sie und wandte sich an den Mann mit der Fackel. Etienne und Hannah rissen die Köpfe herum, als sie ihre Stimme hörten.
    – Monsieur, wir sind auf dem Weg nach Genf. Wir machen hier nicht halt. Bitte laßt uns weiterziehen.
    Die Männer stampften mit den Füßen. Ein paar kicherten. Der Mann mit der Fackel hörte auf zu schlucken.
    – Warum sollten wir das? fragte er.
    – Weil Gott nicht will, daß Ihr sündigt. Weil Mord eine Sünde ist.
    Sie zitterte und konnte nichts mehr sagen. Der Mann mit der Fackel machte einen Schritt auf sie zu und Isabelle sah das lange Jagdmesser in seinem Gürtel.
    Dann sprach Marie, und ihre metallene Stimme klang durch den ganzen Wald.
    – Notre Père qui es aux cieux, ton nom soit sanctifié, rief sie.
    Der Mann blieb stehen.
    – Ton règne vienne, ta volonté soit faite sur la terre comme au ciel.
    Eine kurze Pause, dann fuhren zwei Stimmen fort.
    – Donne-nous aujourd’hui notre pain quotidien. Jacobs Stimme knirschte wie Kieselsteine unter den Füßen. Pardonne-nous nos péchés, comme aussi nous pardonnons ceux qui nous ont offensés.
    Isabelle tat einen tiefen Atemzug und ließ ihre Stimme mit denen ihrer Kinder erklingen.
    – Et ne nous induis point sans la tentation, mais délivre-nous du malin; car à toi appartient le règne, la puissance, et la gloire à jamais. Amen.
    Der Mann mit der Fackel stand zwischen ihnen und den anderen Männern. Er starrte Marie an; die Stille war drückender als je zuvor.
    – Wenn Ihr uns weh tut, sagte sie, wird Gott Euch weh tun. Er wird Euch sehr, sehr schlimm weh tun.
    – Und was wird er mit uns machen, ma petite? fragte der Mann amüsiert.
    – Schsch, Marie, flüsterte Isabelle.
    – Er wird Euch ins Feuer werfen! Und Ihr werdet nicht sterben, nicht sofort. Ihr werdet darin liegen und Eure Eingeweide werden glühen und kochen. Und Eure Augen werden größer und größer werden, bis sie plopp! explodieren!
    Das hatte sie nicht von Monsieur Marcel. Isabelle erkannte die Schilderung: Petit Jean hatte einmal einen

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