Das dunkelste Blau
nicht?«
»Ja, aber er wurde in Montbéliard geboren. Ich habe es nachgeschlagen, und raten Sie, wo es ist? Dreißig Meilen von Moutier entfernt! Gleich über der französischen Grenze. Seine Eltern können leicht von Moutier nach Montbéliard gezogen sein.«
»Gibt es keine näheren Informationen über seine Familie?«
»Nein, es gab nicht viel über ihn im Museum, nur daß er 1590 in Montbéliard geboren wurde, daß er einige Zeit in Rom lebte, dann nach Toulouse kam und 1639 starb. Das ist alles, was man weiß.«
Jean-Paul schnippte die Postkarte gegen seine Knöchel.»Wenn man sein Geburtsdatum kennt, dann kennt man auch die Namen seiner Eltern. Geburts- und Taufregister führen immer die Eltern auf.«
Ich klammerte mich an der Tischkante fest. Ricks Reaktion war so ganz anders gewesen als diese hier, dachte ich.
»Ich werde sehen, ob ich etwas über ihn finde.« Er gab mir die Postkarte zurück.
»Nein, das will ich nicht«, sagte ich laut. Mehrere Leute sahen auf, und die Bibliothekarin machte ein strafendes Gesicht.
Jean-Paul zog die Augenbrauen hoch.
»Monsieur, ich werde es tun. Ich werde mehr über ihn herausfinden.«
»Ich verstehe. Wie Sie wünschen, Madame.« Er neigte den Kopf und ging weg, ließ mich dabei zittrig und erschöpft zurück. »Zum Teufel mit ihm«, murmelte ich, während ich die Jungfrau ansah. »Zum Teufel mit ihm!«
Jean-Pauls Skepsis beeinflußte mich mehr, als ich zugeben wollte. Als ich den Maler entdeckt hatte, war mir gar nicht eingefallen, mehr über ihn erfahren zu wollen. Ich wußte, wer er war; mein Instinkt war der einzige Beweis, den ich brauchte. Namen und Daten und Orte würden diese Gewißheit nicht ändern. Dachte ich wenigstens.
Aber oft reicht eine Bemerkung, um Zweifel zu säen. Ein paar Tage lang versuchte ich zu ignorieren, was er gesagt hatte, aber als ich das nächste Mal nach Toulouse fuhr, nahm ich die Postkarte mit und ging nach dem Unterricht zur Universitätsbibliothek. Ich war schon einmal dagewesen, in der medizinischen Abteilung, aber ich hatte mich niemals bis in die Kunstabteilung vorgewagt. Sie war voller Studenten, die sich auf Examen vorbereiteten, Arbeiten schrieben, sich auf der Treppe lebhaft miteinander unterhielten.
Es dauerte länger, als ich erwartet hatte, etwas über Nicolas Tournier herauszufinden. Er war Teil einer Gruppe von Malern,genannt die »Caravagesques«, Franzosen, die in Rom im frühen siebzehnten Jahrhundert studierten und Caravaggios Technik der starken Licht- und Schattengegensätze kopierten. Diese Maler signierten ihre Werke oft nicht, und es gab endlose Debatten darüber, wer was gemalt hatte. Tournier wurde hier und da kurz erwähnt. Er war nicht berühmt, obwohl zwei seiner Bilder im Louvre hingen. Das bißchen Information, das ich über ihn fand, wich von dem ab, was ich im Museum gefunden hatte: Die früheste Quelle hatte ihn als Robert Tournier aufgeführt, 1604 in Toulouse geboren, um 1670 gestorben. Ich war nur deshalb sicher, daß es der gleiche Maler sein mußte, weil ich die Gemälde erkannte. Andere Quellen gaben wieder andere Daten an und korrigierten seinen Namen zu Nicolas.
Schließlich suchte ich drei Bücher aus, die den neuesten Forschungsstand zu enthalten schienen. Als ich in den Regalen nach ihnen suchte, fehlten sie alle. Ich sprach mit einem gestreßten Studenten hinter dem Informationsschalter, der sich wahrscheinlich selbst aufs Examen vorbereitete; er sah im Computer nach und bestätigte, daß sie alle ausgeliehen waren.
»Es ist gerade sehr viel los, wie Sie sehen«, sagte er. »Vielleicht benutzt sie jemand für eine Seminararbeit.«
»Können Sie herausfinden, wer sie hat?«
Er sah auf den Bildschirm. »Eine andere Bibliothek hat sie bestellt.«
»In Lisle-sur-Tarn?«
»Ja.« Er sah überrascht aus, und noch mehr, als ich murmelte: »Mistkerl! Nein, ich meine nicht Sie. Vielen Dank.«
Ich hätte mir denken können, daß Jean-Paul nicht einfach zusehen und mich alles selbst machen lassen würde. Er war viel zu überzeugt von sich, zu sehr daran interessiert, seine eigenen Theorien zu beweisen. Die Frage war, ob ich ihm hinterherrennen wollte, um mehr herauszufinden.
Doch diese Entscheidung mußte ich nicht treffen. Als ich in Lisle aus dem Bahnhof kam, traf ich Jean-Paul, der von der Arbeitnach Hause ging. Er nickte und sagte »Bonsoir« , und ohne nachzudenken, legte ich los: »Sie haben die Bücher, die ich den ganzen Nachmittag gesucht habe. Warum haben Sie das getan? Ich habe
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