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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Jean-Pierre mit dir kommen?«
    »Nein! Sag mal, warum bist du so negativ eingestellt? Das paßt gar nicht zu dir. Das ist etwas, was mich interessiert . Es ist das erste, was ich wirklich tun wollte, seit wir hierhergekommen sind. Das mindeste, was du tun könntest, ist, mich darin zu unterstützen.«
    »Ich dachte, was du wirklich willst, ist ein Baby. Darin habe ich dich unterstützt.«
    »Ja, aber –« Bei so etwas solltest du mich nicht nur unterstützen, dachte ich. Du solltest es auch haben wollen.
    Seit neuestem hatte ich viele Gedanken, die ich mir verbot.
    Rick starrte mich an, zog die Brauen zusammen und nahm sich dann sichtlich zusammen. »Du hast recht. Natürlich sollst du gehen, Liebes. Wenn es dich glücklich macht, dann ist es das, was du tun sollst.«
    »Oh, Rick, sei nicht –« Ich hielt inne. Es hatte keinen Sinn, ihn zu kritisieren. Er versuchte zu helfen, ohne daß er verstand. Wenigstens versuchte er es.
    »Sieh mal, ich werde für ein paar Tage weg sein, das ist alles. Wenn ich etwas finde, super, wenn nicht, auch gut. Einverstanden?«
    »Ella, wenn du nichts findest, führe ich dich ins beste Restaurant in Toulouse aus.«
    »Na toll, vielen Dank! Da fühl ich mich bestimmt gleich viel besser.«
    Sarkasmus war die billigste Art von Humor, wenigstens meiner Mutter zufolge. Meine Bemerkung wurde noch billiger durch den verletzten Blick in seinen Augen.
    Der Morgen, an dem ich losfuhr, war frisch und klar; ein Gewitter in der Nacht zuvor hatte die bedrückende Spannung in der Luft weggewaschen. Ich küßte Rick zum Abschied, als er sich auf den Weg zum Bahnhof machte; dann nahm ich sein Auto und fuhr in die andere Richtung los. Es war eine Erleichterung,wegzufahren. Ich feierte den Tag, indem ich laut Musik hörte, beide Fenster sowie das Schiebedach öffnete und mich vom Wind durchblasen ließ.
    Die Straße folgte dem Tarn bis nach Albi, einer Domstadt voller Touristen, und führte dann nach Norden vom Fluß weg. In den Cevennen würde ich wieder auf den Tarn treffen und ihm bis zu seiner Quelle zurück folgen. Hinter Albi begann sich die Landschaft zu verändern, der Horizont wurde zuerst weiter, während ich Höhe gewann, dann wieder enger, als mich die Berge ringsum einschlossen, und der Himmel veränderte sich von Blau zu Grau. Der Mohn und die Schafgarbe an der Straße waren bald von anderen Blumen umgeben, lila Aronstäben, Gänseblümchen und viel Ginster mit seinem scharfen, modrigen Geruch. Die Bäume wurden dunkler. Es gab kaum noch Ackerland, sondern Weiden, auf denen dunkle Ziegen und Kühe grasten. Die Flüsse wurden schmaler und schneller und lauter. Ganz plötzlich veränderten sich die Häuser: heller Kalkstein wurde von hartem, graubraunem Granit abgelöst, und die Dächer waren steiler und mit flachem Schiefer statt mit runden Ziegeln gedeckt. Alles wurde kleiner, dunkler und ernsthafter.
    Ich schloß die Fenster und das Schiebedach und stellte die Musik ab. Meine Stimmung schien sich der Landschaft anzupassen. Ich sah nicht gern in dieses schöne, traurige Land hinaus. Es erinnerte mich an das Blau.
    Mende war der Gipfel dieser Landschaft und meiner trüben Laune. Seine schmalen Gäßchen waren von einer hektischen Ringstraße umgeben, die die Stadt eingepfercht erscheinen ließ. Ein Dom saß klobig in der Mitte; seine zwei ungleichen Türme gaben ihm ein seltsames, ungeplantes Aussehen. Im Inneren war es dunkel und bedrückend. Ich entfloh. Draußen auf den Stufen betrachtete ich die grauen Steingebäude um mich herum. Das sollen die Cevennen sein? dachte ich. Dann mußte ich lächeln: Natürlich hatte ich einfach angenommen, Tournier-Land würde schön sein.
    Es war eine lange Fahrt gewesen von Lisle; sogar die breiteren Straßen waren kurvig und steil und verlangten mehr Konzentration als die geraden amerikanischen Autobahnen. Ich war müde und schlechter Laune, die auch durch ein dunkles, enges Hotelzimmer und ein einsames Abendessen in einer Pizzeria, wo die einzigen anderen Gäste Paare und alte Männer waren, nicht besser wurde. Ich dachte daran, Rick anzurufen, wußte aber, daß mich das nicht aufmuntern, sondern nur noch mehr deprimieren und mich an die Kluft, die zwischen uns wuchs, erinnern würde.
    Das Archiv des Bezirkes befand sich in einem brandneuen Gebäude aus lachsfarbenen und weißen Steinen. Der Lesesaal war geräumig und hell; an Dreiviertel der Tische saßen Leute, die Dokumente studierten. Alle sahen aus, als wüßten sie genau, was sie taten. Ich

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