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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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der Isabelle an Etienne erinnerte, als sie ihn kennengelernt hatte. Als er wegging, hob er sein Messer an der Spitze und warf es. Es stak sauber in einem Baumstumpf.
    Er ist erst zehn Jahre alt, dachte sie, aber er denkt und benimmt sich schon wie ein Mann.
    Jacob nahm Maries Hand und führte sie weg, während er mit großen Augen zu Isabelle zurückblickte.
    Etienne sagte nichts, bis die Kinder weg waren. Dann deutete er auf das Nest.
    – Was ist das?
    Isabelle sah hin, dann zu Boden. Sie wußte nicht genug darüber, wie man Geheimnisse behielt, um auch zu wissen, was man tat, wenn sie entdeckt wurden.
    Also sagte sie die Wahrheit.
    – Es ist Maries Haar, flüsterte sie. Ihr wachsen rote Haare, und ich reiße sie ihr im Wald immer aus. Die Vögel haben damit ein Nest gebaut.
    Sie schluckte.
    Ich wollte nicht, daß sie geneckt wird. Daß sie – verurteilt wird.
    Als sie den Blick sah, den Etienne und Hannah wechselten, fühlte ihr Magen sich an, als hätte sie Steine geschluckt. Sie wünschte, sie hätte gelogen.
    – Ich habe ihr geholfen, rief sie. Es war auch, um uns zu helfen. Ich wollte nichts Unrechtes tun!
    Etiennes Augen fixierten den Horizont.
    – Es gibt Gerüchte, sagte er langsam. Ich habe so manche Dinge gehört.
    – Was für Dinge?
    – Der Holzfäller Jacques Le Barbe hat gesagt, daß ihm schien, er hätte dich mit einem Zicklein im Wald gesehen. Und jemand anders hat einen Blutflecken auf dem Boden gefunden. Sie reden über dich, La Rousse. Willst du das?
    Sie reden über mich, dachte sie. Sogar hier. Meine Geheimnisse sind keine Geheimnisse mehr. Und sie führen zu anderen Geheimnissen. Werden sie die auch herausfinden?
    – Es gibt noch etwas. Du warst mit einem Mann zusammen, als wir von Mont Lozère weggegangen sind. Einem Schäfer.
    – Wer sagt das? Das war ein Geheimnis, das sie sogar vor sich selbst gehütet hatte, sie erlaubte sich nicht, an ihn zu denken. Ihr geheimes Geheimnis.
    Sie sah Hannah an, und plötzlich wußte sie Bescheid. Sie kann sprechen, dachte Isabelle. Sie kann sprechen, und sie spricht mit Etienne. Sie hat uns auf dem Mont Lozère gesehen. Der Gedanke ließ sie heftig zittern.
    – Was hast du zu sagen, La Rousse?
    Sie blieb still, denn sie wußte, daß Worte ihr nicht helfen konnten, und sie hatte auch Angst, daß noch mehr Geheimnisse herausfliegen würden, wenn sie den Mund öffnete.
    – Was versteckst du? Was hast du mit der Ziege gemacht? Sie getötet? Sie dem Teufel geopfert? Oder hast du sie bei dem katholischen Händler eingetauscht, der dich so angestarrt hat?
    Er nahm einen der Stöcke, packte sie am Handgelenk und zerrte sie ins Haus. Er stieß sie in die Ecke und suchte überall, warf Töpfe herunter, stocherte im Feuer, riß ihre Strohmatratzen auseinander, dann die von Hannah. Als er beim Strohsack der Kinder angekommen war, hielt Isabelle den Atem an.
    Jetzt ist das Ende gekommen, dachte sie. Heilige Mutter Gottes, hilf mir.
    Er drehte die Matratze um und riß das Stroh heraus.
    Das Tuch war nicht da.
    Der Schlag war eine Überraschung; er hatte sie nie zuvor geschlagen. Der Hieb warf sie durch das halbe Zimmer.
    – Du wirst uns nicht mit deiner Hexerei verderben, La Rousse, sagte er leise. Dann nahm er den Stock, den Petit Jean geschnitten hatte, und schlug sie, bis das Zimmer schwarz wurde.

6. Die Bibel
    Entweder der Rauch oder die kalte Luft, die durch das offene Fenster hereindrang, weckte mich. Als ich die Augen öffnete, sah ich das orangefarbene Glühen einer brennenden Zigarette, dann die Hand, die sie hielt und die auf dem Lenkrad ruhte. Ohne den Kopf zu bewegen, folgte ich dem Arm bis zu den Schultern hinauf und dann zu seinem Profil. Er sah über das Lenkrad hinaus, als würde er noch fahren, aber der Wagen stand, der Motor war aus, und es war nicht einmal das Klicken zu hören, das man immer hörte, wenn der Motor gerade erst abgestellt worden war. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir da gestanden hatten.
    Ich hatte mich seitlich im Beifahrersitz eingerollt, das Gesicht zu ihm, die Wange gegen den rauhen Stoff der Kopfstütze gepreßt; mein Haar war mir übers Gesicht gefallen und klebte an meinem Mund. Ich sah nach hinten; die Bibel lag auf dem Rücksitz, in eine Plastiktüte eingewickelt.
    Obwohl ich mich nicht bewegt und auch nicht gesprochen hatte, wandte Jean-Paul den Kopf und sah mich an. Wir hielten den Blick eine lange Zeit, ohne etwas zu sagen. Die Stille war angenehm, obwohl ich nicht sagen konnte, was er dachte: Sein Gesicht

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