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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Stellen kannte, wo niemand je hinkam. Sie brachte das Kitz zu einer dieser Stellen, baute einen Verschlag aus Holz und Heu, fütterte es und kümmerte sich einen ganzen Sommer lang darum, ohne daß irgend jemand davon wußte.
    Außer einem. Sie ließ das Zicklein gerade an einem mit der Milch seiner Mutter gefüllten Sack trinken, als Jacob hinter einer Birke hervortrat. Er hockte sich neben sie und legte seine Hand auf den Rücken des Kitzes.
    – Papa möchte wissen, wo du bist, sagte er, während er das Kitz streichelte.
    – Wie lange weißt du schon, daß ich hierherkomme?
    Er zuckte die Achseln und fuhr über das Fell des Zickleins, erst mit, dann gegen den Strich.
    – Willst du mir helfen, nach ihm zu sehen?
    Er sah zu ihr hoch.
    – Natürlich, Maman.
    Sein Lächeln war so selten, daß es wie ein Geschenk war.
    Diesmal war sie vorbereitet, als sie das Pfeifen des Händlers hörte. Der Trödler lächelte breit, als er Isabelle sah. Sie lächelte zurück. Während sie sich mit Hannah das Leinen ansah, kletterte Jacob hinauf und zeigte ihm seine Kieselsteine, während er leise ihre Nachricht überbrachte. Der Trödler nickte, während er die merkwürdigen Formen und Farben der Steine bewunderte.
    – Du hast ein gutes Auge, mio bambino , sagte er. Gute Farben, gute Formen. Du siehst alles und sagst nicht viel, ganz anders als ich! Ich liebe die Worte, aber du, du siehst dich um und du beobachtest die Dinge, nicht? Ja.
    Als er anfing, seine Nachrichten zu verteilen, fiel sein Blick auf Isabelle, und er schnalzte mit den Fingern.
    – Ah, ja, jetzt erinnere ich mich! Ja, ich finde Eure Familie in Alès!
    Unwillkürlich sahen sogar Etienne und Hannah erwartungsvoll zu ihm hoch. Sein Publikum brachte den Trödler in Fahrt.
    – Ja, ja, sagte er und vollführte schwungvolle Gesten. Da sehe ich sie auf dem Markt in Alès, ah, bella famiglia! Und ich erzähle ihnen von Euch, und sie freuen sich, daß es Euch gutgeht.
    – Und es geht auch ihnen gut? fragte Isabelle. Und es ist ein Baby da?
    – Ja, ja, ein Baby. Bertrand und Deborah und Isabella, jetzt erinnere ich mich.
    – Nein, ich bin Isabelle. Ihr meint Susanne. Isabelle hatte nicht gedacht, daß der Händler so einen Fehler machen würde.
    – Nein, nein, es ist Bertrand und die zwei Mädchen, Deborah und Isabella, sie ist erst ein Baby, Isabella.
    – Und was ist mit Susanne? Der Mutter?
    – Ah. Der Händler hielt inne und strich sich nervös über den Schnurrbart. Ah, nun ja. Sie ist gestorben, als sie das Baby zur Welt gebracht hat, wißt Ihr. Als sie Isabella geboren hat.
    Daraufhin drehte er sich weg, denn er richtete nicht gerne schlechte Nachrichten aus, und suchte geschäftig zwischen den Lederriemen eines Pferdegeschirrs herum. Isabelle senkte den Kopf, sie sah alles verschwommen hinter Tränen. Etienne und Hannah gingen von der Menge weg und standen schweigend mit gesenkten Köpfen in einiger Entfernung.
    Marie nahm Isabelles Hand.
    – Maman, flüsterte sie. Eines Tages werde ich Deborah wiedersehen. Oder nicht?
    Der Händler traf Jacob später, weiter unten auf der Straße. Im Dunklen wurde der Tausch gemacht, Ziege gegen Blau. Der Junge versteckte das Tuch im Wald. Am nächsten Tag schüttelte Isabelle es aus und blickte lange auf die Fläche schimmernder Farbe. Dann wickelten sie das Tuch in ein Stück Leinen und versteckten es in der Strohmatratze, die Jacob mit Marie und Petit Jean teilte.
    – Wir werden etwas daraus machen, versprach Isabelle ihm. Gott muß mir sagen, was.
    Im Herbst ernteten sie ihren eigenen Hanf. Eines Tages schickte Etienne Petit Jean in den Wald, um dicke Eichenstöcke zu schneiden, die sie brauchten, um den Hanf zu schlagen. Die anderen stellten Böcke auf und begannen, Arme voller Hanf aus der Scheune zu bringen, um sie darüberzulegen.
    Petit Jean kam mit fünf Stöcken über der Schulter und dem Nest aus Maries Haar zurück.
    – Sieh, Mémé, was ich gefunden habe, sagte er, während er Hannah das Nest hinhielt, so daß das Rot im Licht aufschimmerte.
    – Oh! rief Marie aus, bevor sie sich beherrschen konnte. Isabelle machte eine unwillkürliche Bewegung.
    Etienne blickte von Marie zu Isabelle. Hannah betrachtete das Nest und dann Maries Haar. Sie sah Isabelle feindselig an und gab Etienne das Nest.
    – Geht zum Fluß, befahl Etienne den Kindern.
    Petit Jean legte die Stöcke ab, streckte dann die Hand aus und zog Marie so fest er konnte an den Haaren. Sie fing an zu weinen, und Petit Jean grinste mit einem Blick,

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