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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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war nicht leer, aber es war auch nicht offen.
    Wie lange dauert es, um zwei Jahre Ehe und zwei Jahre Beziehung davor zu überwinden? Nie zuvor war ich in Versuchung geraten; als ich Rick gefunden hatte, war die Sache für mich klar gewesen. Ich hatte Geschichten von Freundinnen gehört, über deren Suche nach dem richtigen Mann, über katastrophale Verabredungen, gebrochene Herzen, und konnte mich nie richtig in ihre Lage versetzen. Es war, wie einen Reisebericht über einLand anzusehen, von dem man weiß, daß man nie hinfahren wird, Albanien oder Finnland oder Panama. Allerdings schien ich jetzt gerade ein Flugticket nach Helsinki in den Händen zu halten.
    Ich lehnte mich hinüber und legte meine Hand auf seinen Arm. Seine Haut war warm. Ich schob meine Hand über die Beuge seines Ellbogens hinauf. Als ich halbwegs auf seinem Oberarm war, und mir nicht sicher war, was ich als nächstes tun sollte, legte er seine Hand auf meine und hielt sie fest.
    Ich richtete mich auf und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Ich hatte noch den Geschmack der Oliven von den Martinis im Mund, die Mathilde an diesem Abend für mich bestellt hatte. Jean-Pauls Jacke lag um meine Schultern; sie war weich und roch nach Zigaretten, Blättern und warmer Haut. Ich trug nie die Jacken von Rick: Er war um so vieles größer und breitschultriger als ich, daß ich in seinen Jacken wie ein Zelt aussah und die Ärmel mich einsperrten. Jetzt fühlte es sich an, als ob ich etwas trug, was mir seit langem gehörte.
    Als wir mit den anderen in der Bar saßen, hatten Jean-Paul und ich den ganzen Abend Französisch miteinander gesprochen, und ich hatte mir geschworen, das weiterhin zu tun. Nun sagte ich, »Nous sommes arrivés chez nous?« und bereute es sofort. Was ich gesagt hatte, war zwar grammatikalisch korrekt, aber das chez nous hörte sich an, als wohnten wir zusammen. Wie so oft mit meinem Französisch hatte ich mal wieder nur die wörtliche Bedeutung parat gehabt, aber nicht die Konnotationen der Worte.
    Falls Jean-Paul die Implikation bemerkte, reagierte er nicht darauf. »Non, le Fina« , sagte er.
    »Danke fürs Fahren.«
    »Nicht der Rede wert. Können Sie jetzt fahren?«
    »Ja.« Plötzlich war ich ganz nüchtern und spürte den Druck seiner Hand auf meiner. »Jean-Paul«, fing ich an, wollte etwas sagen und wußte nicht, was.
    Einen Augenblick lang antwortete er nicht. Dann sagte er, »Sie tragen nie bunte Farben.«
    Ich räusperte mich. »Nein, eigentlich nicht. Nicht, seit ich ein Teenager war.«
    »Ah. Goethe hat gesagt, daß nur Kinder und einfache Leute lebhafte Farben mögen.«
    »Soll das ein Kompliment sein? Ich mag Naturstoffe, das ist alles. Wolle und Baumwolle und besonders – was ist das auf französisch?« Ich zeigte auf meinen Ärmel; Jean-Paul nahm seine Hand von meiner, um den Stoff zwischen zwei Fingern zu reiben, während seine anderen Finger über meine nackte Haut streiften.
    »Le lin.«
    »Le lin. Ich habe immer gern Leinen getragen, besonders im Sommer. Es sieht in natürlichen Farben besser aus, in weiß und beige und –« Ich brach ab. Das Vokabular für Kleiderfarben ging eindeutig über meinen Wortschatz hinaus; was waren nur die Worte für Sand, Karamel, Schlamm, Ocker?
    Jean-Paul ließ meinen Ärmel los, und seine Hand ruhte wieder auf dem Lenkrad. Ich sah meine eigene Hand an, die wie verirrt auf seinem Arm lag, nachdem sie so viele Hemmungen überwunden hatte, dorthin zu kommen, und hätte weinen können. Ich nahm sie weg und schob sie unter meinen anderen Arm, während ich Jean-Pauls Jacke von den Schultern schüttelte und geradeaus sah. Warum saßen wir hier und sprachen über meine Kleidung? Mir war kalt; ich wollte nach Hause.
    »Goethe«, schnaubte ich, grub meine Absätze in den Boden und drückte den Rücken ungeduldig gegen die Rückenlehne.
    »Was ist mit Goethe?«
    Ich verfiel ins Englische. »Nur Sie können jetzt von jemandem wie Goethe anfangen.«
    Jean-Paul schnippte seinen Zigarettenstummel nach draußen und kurbelte das Fenster hoch. Er öffnete die Tür, stieg aus und streckte sich. Ich gab ihm seine Jacke zurück und rutschteauf den Fahrersitz. Er schlüpfte in die Jacke, beugte sich dann in den Wagen, eine Hand oben auf der Tür, die andere auf das Dach aufgestützt. Er sah mich an, schüttelte den Kopf und seufzte, ein verärgertes Zischen zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    »Ich gerate nicht gerne zwischen ein Paar«, murmelte er auf englisch. »Nicht einmal, wenn ich nicht

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