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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Gezupfe. Sie bat ihre Mutter, das Haar behalten zu dürfen, und versteckte den größer werdenden Ballen im Loch eines Baumes.
    Eines Tages rannte Marie zu Isabelle und vergrub den Kopf in ihrem Schoß.
    – Mein Haar ist weg, flüsterte sie unter Tränen, sogar in diesemAugenblick gewärtig, daß sie den anderen nichts sagen durfte. Isabelle sah zu Etienne, Hannah und den Jungen hinüber. Außer Hannahs saurem Gesichtsausdruck wies nichts in ihren Gesichtern auf einen Argwohn hin.
    Als sie und Marie den Baum suchten, blickte sie hoch und sah ein Vogelnest in der Sonne glitzern.
    – Da! zeigte sie. Marie lachte und klatschte in die Hände.
    – Nehmt es! rief sie den Vögeln zu, hielt ihr Haar an den Enden hoch und ließ es in langsamen Kaskaden fallen. Nehmt es, es gehört euch! Jetzt werde ich immer wissen, wo es ist.
    Sie drehte sich immer schneller im Kreis und fiel lachend zu Boden.
    Das hohe Pfeifen stieg an und fiel wieder ab, bevor es in einem vogelartigen Trällern endete. Man konnte es durch das ganze Tal hören. Nach einer Weile war das Rütteln und Klappern und Klingeln eines Wagens zu vernehmen, der von hoch oben in den Bergen zu den mit Flachs bepflanzten Feldern herunterkam. Etienne schickte Jacob, um nachzusehen, was es da gab. Als Jacob zurückkam, nahm er Isabelle an die Hand und führte sie den Pfad entlang zum Dorfrand; der Rest der Familie kam hinterher. Dort hatte der Wagen angehalten und war von einer Menschenmenge umringt.
    Der Händler war klein und dunkelhaarig, mit einem Bart und einem langen Schnurrbart, der in stattliche Zwirbel gekringelt war; er hatte eine rot und gelb gestreifte Mütze, die wie ein umgekehrter Eimer geformt war, über seine Ohren gestülpt. Hoch über ihnen auf seinem Wagen, der mit Gütern beladen war, kletterte er mit einer Sicherheit herum, die zeigte, daß er jeden Zollbreit kannte. Die ganze Zeit plapperte er über die Schulter in einem merkwürdig singenden Akzent, der Isabelle zum Lachen brachte, während Etienne ihn mit zusammengekniffenen Augen anstarrte.
    – Orangen, Orangen! Ich zeige euch Orangen, Oliven, Zitronenaus Sevilla! Hier ist ein schöner Kupfertopf. Und eine Ledertasche. Und hier ein Paar Schnallen. Wollt Ihr Schnallen an diese Schuhe, meine Dame? Ja, Ihr wollt! Und ich gebe Euch passende Knöpfe dazu! Und Garn und Spitze, hier, ja, die feinste Spitze. Kommt näher, kommt näher! Kommt und seht, fühlt, habt keine Angst. Ah, Jacques Le Barbe, bonjour encore! Euer Bruder sagt, daß er bald aus Genf hierherkommt, aber Eure Schwester, sagt er, bleibt in der Nähe von Lyon. Warum kommt sie nicht zu Euch, hier an diesen wunderbaren Ort? Nun denn. Und Abraham Rougemont, ein Pferd steht für Euch in Bienne bereit. Ein guter Kauf, ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Laßt Eure hübsche Tochter einmal um das Dorf reiten. Und Monsieur le régent , Euren Sohn traf ich –
    Weiter und weiter sprach er und verteilte seine Nachrichten, während er seine Waren verkaufte. Die Leute lachten und neckten ihn; er war ein gewohnter und willkommener Anblick, jedes Jahr kam er nach der harten Winterszeit und dann wieder während des Erntefestes.
    Mitten in all dem Trubel lehnte er sich plötzlich zu Isabelle hinüber.
    – Che bella , Euch habe ich ja noch nie gesehen! rief er. Kommt und schaut meine Sachen an! Er strich über die Stoffrollen neben sich. Kommt, seht!
    Isabelle lächelte scheu und senkte den Kopf; Etienne runzelte die Stirn. Sie hatten nichts, womit sie hätten handeln können, weniger als nichts, denn sie schuldeten allen in Moutier etwas. Als sie ankamen, hatte man ihnen zwei Ziegen gegeben und je einen kleinen Sack mit Flachs- und Hanfsamen, Decken, Kleidung. Sie mußten niemandem etwas zurückzahlen, aber es wurde von ihnen erwartet, daß sie genauso großzügig sein würden, wenn die nächsten Flüchtlinge ohne etwas ankommen würden. Sie standen lange da und sahen den Einkäufen zu, bewunderten die Spitze, das neue Pferdegeschirr, die weißen leinenen Kittel.
    Isabelle hörte den Händler von Alès sprechen.
    – Er könnte etwas wissen, flüsterte sie Etienne zu.
    – Frag nicht, zischte er.
    Er will es nicht wissen, dachte sie. Aber ich.
    Sie wartete, bis Etienne und Hannah gegangen waren und Petit Jean und Marie vom endlosen Rennen um den Wagen müde geworden und zum Fluß gegangen waren, bevor sie näher kam.
    – Bitte, Monsieur, flüsterte sie.
    – Ah, Bella , Ihr wollt Euch umsehen! Kommt, kommt!
    Sie schüttelte den Kopf.
    – Nein,

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