Das dunkelste Blau
zusammengelebt hat«, fuhr er fort.
»Ja. Und?«
»Hat er dir etwas über sie erzählt?«
»Nein.«
»Sie war Amerikanerin.«
Ich warf ihm einen Seitenblick zu, um zu sehen, was für eine Reaktion er von mir erwartete, aber er folgte dem Verkehr mit seinen Augen und ließ sich nichts anmerken.
»Und war sie fett?«
Claude brüllte vor Lachen. »Du!« rief er. »Du bist – ich verstehe, warum Jean-Paul dich mag. Eine kleine Katze!«
»Warum hat sie ihn verlassen?«
Er zuckte die Achseln und hörte auf zu lachen. »Sie hat ihre Heimat vermißt und gemerkt, daß sie hier nicht hingepaßt hat. Sie hat gesagt, daß die Leute nicht freundlich zu ihr waren. Sie hat sich fremd gefühlt.«
»Jesus«, murmelte ich auf englisch, bevor ich mich beherrschen konnte. Claude beugte sich vor, die Beine gespreizt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Hände hingen herab. Ich blickte ihn an. »Liebt er sie noch?«
Er zuckte die Achseln. »Sie ist jetzt verheiratet.«
Das ist keine Antwort – sieh mich an, dachte ich, sagte aber nichts.
»Schau«, sagte er, »wir beschützen Jean-Paul ein wenig. Wir treffen da eine hübsche Amerikanerin, mit viel Charme, wie eine kleine Katze, die ihre Augen auf Jean-Paul geworfen hat, aber verheiratet ist, und wir denken« – er zuckte noch mal die Achseln – »vielleicht ist das nicht so gut für ihn, aber wir wissen, daß er das nicht sieht. Oder er sieht es, aber sie ist trotzdem eine Versuchung.«
»Aber –« Ich konnte nichts dagegen sagen. Wenn ich entgegnet hätte, daß nicht jede Amerikanerin heulend zurück nach Hause rennt – nicht, daß ich das in manchen verzweifelten Momentennicht auch schon erwogen hätte –, dann hätte er einfach von meiner Ehe angefangen. Ich wußte nicht, was ihm wichtiger war; das war vielleicht ein Teil seiner Strategie. Ich verabscheute ihn zu sehr, als daß ich es hätte darauf ankommen lassen wollen.
Was er aber ganz deutlich sagte, war, daß ich nicht gut war für Jean-Paul.
Bei diesem Gedanken und aufgrund des Schlafmangels und der absurden Situation, auf einer Bank mit diesem Mann, der mir Dinge erzählte, die ich längst wußte, brach ich schließlich zusammen. Ich beugte mich nach vorne, stützte die Ellbogen auf die Knie, und legte die Hände vor die Augen, als müßte ich sie vor grellem Sonnenschein schützen. Dann fing ich leise an zu weinen.
Claude setzte sich aufrecht hin. »Tut mir leid, Ella. Ich hab das alles nicht gesagt, um dich unglücklich zu machen.«
»Was haben Sie denn gedacht, wie ich reagieren würde?« fuhr ich ihn an. Er machte dieselbe Geste der Niederlage mit den Händen wie am Abend vorher.
Ich wischte meine feuchten Hände an meinem Kleid ab und stand auf. »Ich muß gehen«, murmelte ich und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihm zu danken oder auf Wiedersehen zu sagen.
Die ganze Heimfahrt über heulte ich.
Die Bibel lag wie eine Anklage auf meinem Schreibtisch. Ich hielt es nicht aus, allein in einem Zimmer zu sein, aber leider hatte ich keine andere Wahl. Was ich gebraucht hätte, war, mit einer Freundin zu reden. Aber in den Staaten war es mitten in der Nacht; außerdem war es nie dasselbe am Telefon. Hier hatte ich niemanden, dem ich mich anvertrauen konnte. In Mathilde hatte ich zwar ein freundliches Wesen gefunden, aber sie hatte es so sehr genossen, mit Jean-Paul zu flirten, daß sie sich möglicherweise nicht besonders freuen würde, die neuesten Ereignisse zu hören.
Später fiel mir ein, daß ich am Nachmittag eine Französischstunde in Toulouse hatte. Ich rief Madame Sentier an und behauptete, daß ich krank sei. Als sie nachfragte, sagte ich, daß es eine Sommergrippe war.
»Ah, da brauchen Sie jemanden, der sich um Sie kümmert!« rief sie. Ihre Worte erinnerten mich an meinen Vater, und seine Sorge, daß ich hier ohne Hilfe festsitzen würde. »Ruf Jacob Tournier an, wenn du irgendwelche Probleme hast«, hatte er gesagt. »Wenn es Probleme gibt, ist es gut, Familie in der Nähe zu haben.«
Jean-Paul –
Ich fahre zu meiner Familie. Das scheint mir im Moment
das Beste zu sein. Wenn ich hierbleiben würde, würde ich
in meiner Schuld ertrinken.
Ich habe dein blaues Hemd mitgenommen.
Verzeih.
Ella
Rick bekam keinen Brief; ich rief seine Sekretärin an und hinterließ die kürzeste aller Nachrichten.
7. Das Kleid
Sie war niemals allein. Immer blieb jemand bei ihr, Etienne oder Hannah oder Petit Jean. Gewöhnlich war es Hannah, was
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