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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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und Etienne beide intensiv daraufstarrten. Etiennes Lippen bewegten sich leicht.
    Er zählt, dachte sie. Warum zählt er? Eine Welle von Angst durchfuhr sie.
    – Hört auf! rief sie, fuhr in den Umriß hinein und trat die Steine weg.
    Die dunklen Monate nach Weihnachten waren am schwersten. Es war so kalt, daß sie die Tür nur einmal am Tag aufmachten, um Holz und Hanf hereinzuholen. Der Himmel war oft grau, voller Schnee, und draußen war es beinahe so dunkel wie im Haus. Isabelle sah hinaus, in der Hoffnung, einen kurzen Augenblick lang entkommen zu können, fand aber keinen Trost in dem schweren Himmel, der glatten Schneefläche, die hier und da in der Ferne von schwarzen Tannenspitzen oder Felsblöcken unterbrochen wurde. Die Kälte fühlte sich an wie ein Metallblock, der auf ihre nackte Haut gedrückt wurde.
    Sie fing auch an, Metall zu schmecken, in dem harten Roggenbrot, das Hannah einmal in der Woche im Gemeinschaftsofen buk, in dem Gemüsebrei, den sie jeden Tag aßen. Sie mußte sich zum Essen zwingen, den Geschmack von Blut ignorieren und ihren Ekel verstecken. Oft überließ sie Marie den Rest ihres Essens.
    Dann fingen ihre Arme und Beine an zu jucken, in den Ellenbogenbeugenund in den Kniekehlen. Zuerst kratzte sie durch die Schichten von Kleidung: Es war zu kalt, um sich auszuziehen und die Läuse zu entfernen. Aber eines Tages bemerkte sie Blut, das durch die Kleidung gedrungen war, und schob ihre Ärmel hoch: Trockene, silberfarbene Haut schälte sich ab, wunde rote Stellen waren sichtbar, keine Spur von Läusen. Sie versteckte die roten Flecken, aus Angst davor, wessen Etienne sie beschuldigen würde, wenn er das Blut sah.
    Nachts lag sie im Bett und starrte ins Dunkel, während sie sich mit so wenig Bewegung wie möglich kratzte, damit Etienne nichts bemerkte. Sie hörte seinem gleichmäßigen Atmen zu, hatte Angst davor, daß er aufwachte, und wollte wach bleiben, um vorbereitet zu sein – sie wußte nicht, wofür, aber da in der Dunkelheit wartete sie auf etwas, kaum atmend.
    Sie dachte, sie wäre vorsichtig gewesen, aber eines Abends faßte er nach ihrer Hand und entdeckte das Blut. Er schlug sie, und danach nahm er sie brutal von hinten. Es war eine Erleichterung, ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
    Eines Abends kam Gaspard, um mit ihnen am Feuer zu sitzen.
    – Der Granit ist bestellt, erzählte er Etienne und zog Pfeife und Feuerstein aus der Tasche. Mit dem Preis ist er einverstanden, und er hat die Maße, die du mir gegeben hast. Er wird ihn vor Ostern bringen. Nun, willst du noch mehr Granit? Für den Rauchfang?
    Etienne schüttelte den Kopf.
    – Dafür kann ich nicht bezahlen. Und außerdem ist der Kalkstein hier für den Rauchfang gut genug. Es ist der Herd, der am heißesten wird und für den man den härtesten Stein braucht.
    Gaspard kicherte. – Sie denken, daß du verrückt bist, unten im Gasthaus. Warum will er einen Kamin? fragen sie. Er wohnt doch schon in einem guten Haus!
    Es war still; Isabelle wußte, was alle dachten: Sie erinnerten sich an den Kamin im Tournierschen Haus.
    Marie hängte sich an Gaspards Arm und wartete darauf, von ihm gekitzelt zu werden. Er kniff sie ins Kinn und zog sie an den Ohren.
    – Eh, du willst einen Kamin, mon petit souris , willst du das? Du magst den Rauch hier nicht?
    – Maman ist es, die ihn am meisten haßt, erwiderte Marie kichernd.
    – Ah, Isabelle. Gaspard wandte sich an sie. Du siehst nicht gut aus. Ißt du genug?
    Hannah runzelte die Stirn. Etienne sprach für sie.
    – Es gibt genug zu essen in diesem Haus für die, die es wollen, sagte er barsch.
    – Bien sûr, bien sûr. Gaspard machte eine Handbewegung, als wolle er rauhes Tuch glätten. Ihr habt eine gute Hanfernte, ihr habt Ziegen, alles ist gut. Außer daß ihr einen Kamin für Madame braucht. Er nickte Isabelle zu. Und Madame bekommt, was sie möchte.
    Isabelle blinzelte und sah ihn durch den Rauch an. Wieder war es still, bis Gaspard unsicher lachte.
    – Ich mache nur Spaß, rief er. Ich mache einen Scherz mit euch, das ist alles.
    Nachdem er gegangen war, ging Etienne hin und her und sah sich das Feuer aus jedem Winkel an.
    – Der Herd wird hierhin kommen, gegen die Wand, erklärte er Petit Jean und klopfte an die Wand, die am weitesten von der Tür entfernt war. Hier können wir das Dach durchbrechen. Siehst du? Hier werden vier Pfosten sein – er zeigte es ihm –, die ein Steindach halten, das den Rauch nach oben und durch ein Loch hinausleiten wird.
    –

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