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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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den Kopf. »Ich denke natürlich weiter nach.«
    »Und was soll ich damit anfangen?«
    »Ich sagte Ihnen doch schon, dass Eva in letzter Zeit eine Veränderung durchlief. Sie hatte ein Alter erreicht, in dem sich verdrängte Erinnerungen wieder Gehör verschaffen. Das hat medizinische Ursachen: Der Mensch verliert neuronale Sperren, das sind bestimmte Schutzmechanismen im Gehirn. Erlebnisse, die jahrzehntelang überdeckt waren von den Anforderungen des Alltags. Traumata, die das Unbewusste als störend ausgesondert hat. Sie drängen sich einem wieder auf. Das Gehirn reaktiviert diese Erfahrungen, dagegen lässt sich nichts machen. Aber es braucht einen Auslöser für diese inneren Bilder.«
    »Was könnte das sein?«
    »Alles Mögliche, eine Nachricht, Fernsehsendungen, Briefe. Dann stellen sich schlagartig Rückblenden ein.« Schwan legte die geöffneten Handflächen auf die Bettdecke. »Was es bei Eva genau war, weiß ich nicht. Ich bin mir nur sicher, dass sie an einer Belastungsstörung litt.«
    Raupach erhob sich und trat neben das Bett. »Sie haben das sehr gut erklärt für einen Mann, der an den Nachwirkungen eines Kollapses leidet. Unser Psychologe hätte es nicht besser formulieren können.«
    »Deshalb bin ich jetzt auch sehr erschöpft.« Schwan sank in sein Kissen und schloss die Augen. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ihr Besuch hat mich angestrengt.«
    »Nicht haftfähig, nehme ich an?«
    »Ganz und gar nicht.«
     
    AM ENDE des Ganges hielt Raupach nach der Krankenschwester Ausschau, die ihn am Vormittag zusammengestaucht hatte. Als sie nirgends zu sehen war, öffnete er die Tür zu Heides Zimmer. Der Fernseher lief. Er trat ein.
    Sie saß auf einem Stuhl und schaute einen Western. Wie Heides Filmgeschmack mit ihrer Schwäche für Händel zusammenging, war Raupach ein Mysterium.
    Das Fenster stand offen. Sie rauchte.
    Raupach setzte sich auf das Bett. »Leute von deinem Schlag gelten inzwischen als öffentliches Ärgernis.«
    Heide nickte, als Aschenbecher benutzte sie eine Untertasse.
    Clint Eastwood spuckte gerade einem Hund Kautabak auf den Kopf. Der Hund duckte sich und knurrte.
    Sie deutete auf den Bildschirm und dann auf sich.
    »So fühlst du dich jetzt?«, fragte Raupach. »Wie dieser Köter, der nicht weiß, wo er hinsoll?«
    »Ja.«
    In der nächsten Szene erschoss Eastwood zwei zwielichtige Trapper, die versuchten, ihn gefangen zu nehmen. Er spielte einen Guerillakämpfer aus Missouri, auf Deutsch hieß der Film allerdings »Der Texaner«.
    »Ich finde, du hast mehr Ähnlichkeit mit Eastwood«, meinte Raupach. »Diese Verachtung in seinen Augen, weil die Welt so ist, wie sie ist, und er daran immer nur unbedeutende Korrekturen vornehmen kann. Seine Freunde sterben und seine Feinde. Er reitet trotzdem weiter, von einem erbärmlichen Nest zum anderen. Im Grunde gefällt es ihm nicht, dass die Leute Angst vor ihm haben, aber was soll er dagegen tun?«
    Er wollte Heide nicht nach dem nächtlichen Einbruch und ihren Ahnungen fragen. Wenn ihr noch etwas dazu einfiel, würde sie es schon sagen.
    Sie schauten sich den Film an. Heide hatte die Beine hochgelegt. Sie trug keine Schuhe. Aus Langeweile hatte sie sich die Zehennägel lackiert, dunkelrot, es sah gut aus, obwohl es nicht zu ihrem Kopfverband und dem Trainingsanzug passte. Ihre Füße, schmal und gerade geformt, mit gepflegter Haut und weichen Nägeln, waren momentan der einzige Hinweis, dass sie immer noch eine attraktive Frau war. Die Zehen konnte sie einzeln bewegen, was sie auch hin und wieder unwillkürlich tat, als spielte sie damit Klavier.
    Bei einer ruhigeren Sequenz des Westerns, in der Eastwood darüber nachsann, ob er weiter das Leben eines Gesetzlosen führen wollte, erzählte Raupach von seinen Gesprächen mit Sylvia Feichtner und Schwan. Dann klingelte plötzlich sein Handy.
    Clüsserath aus Bonn meldete sich. Die gesuchte Person namens Sharon Springman habe soeben das Privathaus von Kenneth Marsh betreten. Wie sei jetzt vorzugehen?
    »Wenn Springman das Haus verlässt, nehmen Sie die Frau fest«, sagte Raupach. »Achten Sie darauf, dass sich keiner von Ihren Leuten zu früh zeigt. Und sichern Sie alle Ausgänge. Wir kommen sofort.«
    »Kein Problem, Sie können sich auf uns verlassen.«
    »Danke, Clüsserath. Ist lange her, seit wir zuletzt zusammengearbeitet haben.«
    »Sie waren vorübergehend hors service. « Seit der Bonner Kollege einmal eine Ermittlung in Frankreich geleitet hatte, garnierte er seinen Smalltalk mit

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