Das dunkle Erbe
stieß sich vom Tisch ab. »Wir müssen unbedingt mit Marshs Sohn in Bonn sprechen. Dieses Glied in der Kette fehlt uns noch. Kommst du mit, Fofó?«
»Zuerst musst du mit Bernhard Schwan sprechen«, sagte Jakub.
»Wie?«
»Er fühlt sich wieder in der Lage, vernommen zu werden, und hat ausdrücklich nach dir gefragt.«
»Hat er sich wieder erholt?«, fragte Raupach.
»Gerade so weit, dass er Wünsche äußern kann.« Jakub lächelte ironisch. »Wir dürfen ihn nicht abschreiben. Vielleicht ist er in sich gegangen und kommt jetzt mit einem Geständnis rüber.«
»Aber Kenneth Marsh hat Vorrang«, erwiderte Raupach. »Schwan muss sich gedulden.«
»Die Kollegen in Bonn wissen, was zu tun ist«, half Photini. »Clüsserath hat das Kommando, du kennst ihn.«
Raupach nickte. »Einer, der genau hinschaut, bevor er etwas unternimmt.«
»Sie observieren Marsh und verständigen uns sofort, wenn sich etwas tut. Kenneth Marsh ist Weinhändler, knapp sechzig Jahre alt. Der läuft uns schon nicht davon.«
»Hast du das überprüft? Vielleicht muss er eine Geschäftsreise in die Toskana machen. Sind solche Leute nicht häufig unterwegs?«
Photini hatte das längst geklärt. Zwei Telefonate mit den Angestellten der Weinhandlung. Sie schenkte Raupach einen nachsichtigen Blick.
IM KRANKENHAUS war es viel besser als in einer Zelle. Hier kümmerte man sich um ihn, hier wurde er wie ein Hilfsbedürftiger behandelt, wie jemand, der in eine Notlage geraten war und nicht mehr von alleine herausfand. Höfliche Fragen. Stabilisierende Infusionen. All die wohlbekannten Geräte. Er beneidete Patienten, die er in akuten Fällen an die Klinik überwies. Es war nur fair, einmal die Seiten zu wechseln. Liegen, beobachten, Kräfte tanken. Um den ungeheuerlichen Anwürfen, denen er ausgesetzt war, die Stirn zu bieten. Es fiel kaum auf, dass er unter Bewachung stand. Das Pflegepersonal war ausschließlich männlich, eine Vorsichtsmaßnahme der Polizei, wie er annahm.
Dadurch geriet er wenigstens nicht in Versuchung wie bei der Frau auf dem Balkon. Erregung aus der Ferne, Kitzel der Vorstellungskraft. Er war überzeugt, dass es diese seine unreinen Gedanken gewesen waren, die ihn in Schwierigkeiten gebracht hatten. Erst danach war der Kommissar unfreundlich geworden und hatte ihm die schrecklichen Fotos von Eva gezeigt. Seither galt er als Verbrecher. Dass dieser Psychologe gelegentlich nach ihm sah, machte es nur noch deutlicher.
Die Strafe folgte immer sofort auf dem Fuß, es war wie eine Übereinkunft zwischen ihm und Gott. Tu dies, dann geschieht das, du hast die Wahl. Sein Fels, seine Burg, sein Retter, seine Feste, sein Schild und sicheres Heil, seine Zuflucht.
Als er sich im Zimmer einmal unbeobachtet die Beine vertreten hatte, war er auf die Bibel gestoßen, in einer Schublade des Tisches am Fenster. Er mochte die Psalmen. Er las. Er glaubte. Flüsterte: »Der Herr sei gepriesen!«
Und er wurde vor seinen Feinden gerettet. Ihn umfingen die Fesseln des Todes, ihn erschreckten die Fluten des Verderbens. Die Bande der Unterwelt umstrickten ihn. In seiner Not rief er zum Herrn, seinem Gott. Der hörte seinen Hilfeschrei.
Die Bibel lag überall aus. Jeder konnte daraus einen Sinn ziehen.
Die Tür ging auf.
»Geht es Ihnen besser?«, fragte Raupach.
»Ein wenig.«
Keine Begrüßung. Der Kommissar blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Er wirkte gehetzt, in Eile. Warum war er dann überhaupt hergekommen?
»Sie wollten mich sprechen?«
Er behielt seinen Mantel an, setzte sich nicht mal. Dabei hatten sie sich so gut verstanden.
»Wollen wir unsere Unterhaltungen nicht fortsetzen?«, fragte Schwan vom Krankenbett aus.
»Sind Sie dazu in der Lage?«
»Es geht.«
»Das freut mich«, sagte Raupach.
Schwan glaubte ihm nicht. »Also dann, was wollen Sie wissen?«
»Was wollen Sie mir sagen?«, fragte Raupach zurück. »Sie haben mich doch extra herbestellt.«
»Sie haben wohl keine Zeit für mich. Verfolgen Sie eine andere Spur?«
»Über die Morde konnten Sie mir bislang nichts Zielführendes verraten. Und dann sind Sie kollabiert.«
»Sie haben mir zugesetzt«, verteidigte sich Schwan. »Erst haben Sie mich ausgepresst wie eine Zitrone. Und dann haben Sie mir einen bestialischen Tod unter die Nase gehalten und darauf gelauert, wie ich reagiere. War das überhaupt statthaft?«
»Dafür gab es gute Gründe, Indizien, die Sie nach wie vor belasten. Eva von Barths Leiche wurde in der Nähe Ihres Ferienhauses abgelegt. Man
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