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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Zigarette nach der anderen an, rauchte hastig und unkonzentriert.
    Sie verließen die Stadt und fuhren hinaus auf die Autobahn Richtung Norden. Kurz nach Mitternacht waren die Straßen praktisch leer. Von Zeit zu Zeit überholten sie einen Lastwagen. Lichter von der Gegenspur flogen vorbei wie leuchtende Perlenschnüre. O Gott, die Müdigkeit ...
    Er richtete sich in seinem Sitz auf. Der Schmerz in seiner Schulter war zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Seine Gedanken drifteten. Eine Zeitlang kreisten sie um die Frage, was er mit Carmen tun sollte, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten. Es war einfach, wenn er nach den Regeln spielte. Sie erschießen, die Leiche irgendwo verschwinden lassen. In den Bergen gab es unzugängliche Schluchten, Flüsse, die einen Körper schnell mit sich fort trugen. Er verfolgte den Gedanken für einige Minuten und stellte fest, dass sein gesamtes Wesen sich dagegen sträubte. Unmöglich. Das würde er nicht fertig bringen.
    Warum hatte er sie nicht zurückgelassen? Er war angeschlagen, doch nicht so sehr, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, einen Wagen zu steuern.
    Warum also?
    Wegen der Antworten. Wegen der Fragen, die er stellen wollte. Über das was geschehen war. Das was gerade eben passierte. Irgendwie war sie in die ganze Sache verwickelt, auch wenn er die Details noch nicht verstand.
    Sie passierten ein Schild, das die Ausfahrt nach Byblos ankündigte. Der Fahrtwind, der durch die zerbrochene Scheibe strömte, erzeugte ein beständiges Rauschen. Nikolaj rekapitulierte vor seinem geistigen Auge den Kampf, der sich in Carmens Apartment abgespielt hatte. Wie passte sie ins Bild? Was war ihre Rolle?
    Er durchschaute das Spiel einfach nicht. Die Fragen brannten ihm auf der Zunge, er hatte das Bedürfnis, sie hinauszuschreien. Doch er beherrschte sich. Für den Moment hatten sie eine empfindliche Balance gefunden, einen Status quo, den er nicht zu erschüttern wagte. Nicht, solange Carmen hinter dem Steuer saß. Ein Gleichgewicht, das an einer Pistole hing, konnte nicht stabil sein. Er musste aufpassen.
    Konzentration.
    Das war es, worauf es ankam. Konzentration und Selbstkontrolle.
    Schließlich brach Carmen das Schweigen. „Wo fahren wir hin?“
    „An einen sicheren Ort.“ In die Berge, ergänzte er in Gedanken. Nach Hause konnte er nicht. Sein Anwesen in Hawqa wurde sicher überwacht. Ein Hotel kam ebenfalls nicht in Frage. Nicht mit einer Geisel und in seinem Zustand. Während sie Beirut verließen, hatte er darüber nachgedacht, war alle möglichen Optionen durchgegangen und schließlich auf St. Erasmus verfallen, eine ehemalige Einsiedelei in einem Nebental des Wadi Qadisha.
    „Ein sicherer Ort“, wiederholte Carmen. Sie verzog einen Mundwinkel. „Sicher für wen? Für dich oder für mich?“
    „Kommt darauf an, auf welcher Seite du stehst.“ Unbeholfen schüttelte er eine neue Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Die Schachtel war beinahe leer.
    „Was steht denn zur Auswahl?“, fragte sie.
    Er drehte den Kopf ein Stück, so dass er ihr Gesicht besser sehen konnte. „Wer waren die Typen vorhin?“
    „Keine Ahnung“, schnappte sie. „Bevor du aufgetaucht bist, hatte ich ein ruhiges Leben.“
    Fast gelang es ihr, ihn zu verunsichern, für einen kurzen Moment. Doch dann vergegenwärtigte Nikolaj sich den schlanken Araber, der erst später aufgetaucht war. ‚Carmen, runter!’ Der sie beim Namen gerufen hatte.
    O Gott. Es traf ihn wie ein Schwall Eiswasser, als er die Gedanken weiter trieb, den weiteren Verlauf rekapitulierte. Das Handgemenge mit dem rotblonden Killer, der darauf folgende Schusswechsel. Und Carmen, die Stimme ganz heiser vor Angst. Sein Name, sie hatte den Araber beim Namen genannt.
    Die Realität drehte sich unter ihm weg. Ruckartig wandte er den Blick ab und starrte hinaus auf die Fahrbahn. Dabei war es so einfach. Folgerichtig. Ihre Antwort, als er sie nach Rafiq gefragt hatte. Zu schnell, zu glatt, zu losgelöst von jeder Emotion.
    „Du hast gelogen“, murmelte er. „Er ist nicht umgekommen damals.“ Sie schwieg. Ihr Blick schien auf der Fahrbahn festgefroren. „Er hat überlebt, nicht wahr?“
    Carmen antwortete nicht. Langsam schüttelte er den Kopf. Tausend Scherben aus farbigem Glas. Wie das Rätsel aus dem alten orientalischen Kindermärchen. Und keine der Scherben schien an eine andere zu passen.
    Bei Ijbeh, einem kleinen Ort kurz vor Ehden, verließen sie die geteerte Straße und bogen ab auf eine Schotterpiste. Die

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