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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Scheinwerfer des Wagens glitten über hochstämmige Bäume und dichtes Unterholz. Der Weg schraubte sich in steilen Kurven talwärts. Wasserrinnen hatten sich quer in den Boden gefressen. Nikolaj spürte jeden Stoß in der verletzten Schulter. Irgendwo klapperte Plastik.
    Carmen bremste vor einer scharfen Biegung, sie schlug das Lenkrad ein und trat erneut das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf, die durchdrehenden Räder schleuderten Sand und Steine auf. Endlich griffen sie, der Wagen beschleunigte.
    „Langsamer!“, fuhr Nikolaj sie an.
    Carmen biss sich auf die Lippen, ihre Wangenmuskeln spannten sich. Er hob die Waffe und stieß den Lauf gegen ihren Hals.
    Sie trat scharf auf die Bremse. Rutschend und ausbrechend kam der Wagen zum Stehen. Der Gurt verhinderte, dass sie nach vorn gegen die Scheibe geschleudert wurden. Unvernünftige Wut kochte in Nikolaj hoch, eine Eruption aus Schmerzen, Zorn und Hilflosigkeit. Seine Hand packte ihre Kehle, seine Finger taub und ohne Gefühl. Er stieß Carmen rückwärts gegen die Sitzlehne, so dass sie nach Luft rang, die Augen weit aufgerissen in plötzlichem Entsetzen. Ersticktes Keuchen, flackernde Lider, die ihn zur Besinnung brachten. Er erschrak über das, was er im Begriff zu tun gewesen war. Augenblicklich lockerte er seinen Griff. Sie starrte ihn an, fast unnatürlich glitzerte das Weiße in ihren Augen.
    „Bitte“, stieß er hervor, „bring mich nicht dazu, dir wehzutun.“
    „Das würdest du wirklich, oder?“, murmelte Carmen. Die Maske war wie weggewischt. Darunter fand sich Angst. „Mich umbringen und irgendwo hier liegen lassen.“
    Fassungslosigkeit, dachte Nikolaj.
    Ihre Augen, ihre Lippen, die ganz leicht zitterten. Plötzlich wirkte sie fragil und sehr verletzlich. Eine Welle von Scham spülte über ihn hinweg und erstickte die letzten Reste des Zorns. Er fühlte nur noch Müdigkeit, Erschöpfung und einen dumpfen Schmerz, der in seiner Schulter pulsierte. Langsam nahm er die Hand von ihrer Kehle und drehte sich zurück in seinen Sitz, ohne jedoch die Waffe zu senken.
    „Fahr weiter. Und fahr vorsichtig.“
    St. Erasmus hatte Jahrhunderte lang Einsiedlern als Wohnstätte gedient. Ein Schlaf-und Gebetsraum, ein Platz für die Ziegen. Von der dazugehörigen Kapelle weiter oben am Berg existierten nur noch Fundamente. Der Eingang zu den Höhlen lag ein Stück hangaufwärts und war von der Talsohle aus nicht zu erkennen.
    Sie parkten abseits der Straße in dichtem Gebüsch. Carmen stellte den Motor ab. Ein leichtes Rauschen ging durch die Bäume, irgendwo rief ein Nachtvogel. Die plötzliche Ruhe klang betäubend laut in den Ohren. Nikolaj öffnete die Tür auf seiner Seite.
    „Gehen wir.“
    Carmen schaute ihn nicht an. Mit gesenktem Blick stieß sie die Fahrertür auf und verließ den Wagen. Nikolaj stieg aus, die Bewegung trieb ihm feine Schweißperlen auf die Stirn. Für einen Augenblick begann sich alles um ihn zu drehen, aber er fing sich sofort wieder. Steif-gliedrig umrundete er den Wagen. Er berührte Carmen am Rücken. „Komm.“
    Sie reagierte nicht. Nikolaj packte sie am Arm und zog sie mit sich. Carmen stolperte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie keine Schuhe trug. Er zerrte sie wieder auf die Beine und weiter die grasbewachsene Steigung hinauf. Sie drängten sich zwischen Kiefern und Lorbeersträuchern hindurch. Der Geruch nach Harz und trockenen Nadeln wurde durchdringend.
    Carmen blieb irgendwo hängen. Sie knickte mit einem kleinen Schmerzenslaut ein. Nikolaj löste seinen Griff, um nachzufassen und ihren Sturz abzufangen. Im gleichen Augenblick trat sie seitwärts gegen sein Knie, ein Schlag, der nicht viel Schaden anrichtete, ihn aber für einen Moment aus dem Gleichgewicht brachte. Überraschend schnell war Carmen wieder auf den Beinen. Sie floh zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
    Nikolaj holte sie schon nach ein paar Metern ein. Er musste sich nicht einmal besonders anstrengen. Sie war barfuss, sie konnte nicht so schnell laufen, wie es ihr mit festem Schuhwerk möglich gewesen wäre. Nikolaj erwischte sie mit einem Sprung, panisch versuchte sie ihn abzuwehren. Sie gingen beide zu Boden. Er kam halb auf ihr zu liegen. Die Erschütterung schickte stechende Schmerzen durch seine Schulter.Er spürte, wie die Wunde wieder anfing zu bluten. Carmen wand sich unter seinem Gewicht bei dem vergeblichen Versuch, sich zu befreien. Er schlug ihr ein paar Mal flach ins Gesicht, bis sie aufgab und still liegen

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