Das dunkle Fenster (German Edition)
versuchte nach ihm zu schlagen. Nikolaj bog seinen Körper zurück und wich ihr aus, dann schlug er ihr mit dem Handrücken ins Gesicht.
„Hilfe“, schrie sie plötzlich gellend, „Hilfe!“
Hastig schob er die Pistole in den Hosenbund. Er presste seine Hand auf ihre Lippen und dämpfte ihre Stimme zu einem erstickten Keuchen. Er zog sie grob mit sich, bis zu dem rückseitig gelegenen Gittertor, das auf eine Seitengasse hinausführte. Dieses Mal hatte er Glück, das Tor war unverschlossen und ließ sich einfach aufklinken. Sie hasteten die Straße hinunter, rechts und links parkten Autos.
Kälte breitete sich von seiner Schulter in den Arm und hinunter in den Brustmuskel aus. Sein Hemd war blutgetränkt, Blut lief seinen Arm hinunter und sammelte sich klebrig zwischen seinen Fingern. Die Männer aus der Wohnung würden jede Sekunde hinter ihnen auftauchen. Er musste schnellstens von hier verschwinden. Er brauchte ein Auto.
Seine Gedanken zerfaserten, es gelang ihm kaum noch, sich zu konzentrieren. Eine Folge des Blutverlusts und des nachlassenden Adrenalins. Plötzlich fror er. Wahllos blieb er vor einem rostigen Ford Escort stehen. Er nahm die Pistole aus dem Hosenbund und schlug mit dem Kolben die Scheibe auf der Beifahrerseite ein. Glas splitterte, er griff hinein, löste die Verriegelung und riss die Tür auf.
Brüsk stieß er Carmen in den Wagen. „Rutsch rüber“, wies er sie an. „Du fährst.“
„Vergiss es“, keuchte sie. Schwerfällig versuchte sie sich herumzudrehen.
Nikolaj schob den Sicherungshebel zurück und richtete die Waffe auf ihr Gesicht.
„Alternativ“, sagte er mit erzwungener Ruhe, „erschieße ich dich und fahre allein.“
Carmen straffte sich, in ihrem Blick veränderte sich etwas. Sie glaubte ihm. Mit eckigen Bewegungen zwängte sie sich hinter das Lenkrad. Nikolaj ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und zog die Tür zu. Noch immer war niemand aufgetaucht. Pures Glück. Aber das würde nicht ewig anhalten.
„Schließ das Ding kurz“, sagte er.
Mit zitternden Fingern riss sie die Plastikverkleidung unter der Lenksäule ab. Sie fand die Kabel auf der Rückseite des Lenkschlosses. Als die Kontakte sich berührten, sprang der Motor stotternd an.
„So eine verdammte Scheiße“, tobte Rafiq. Er schlug die Faust gegen den Zaun. „Scheiße, wie konnte das passieren?“
Alex, der neben ihm stand, antwortete nicht. Vom anderen Ende der Straße kam Tal zurück. Schon von weitem hob er die Hände. Nichts, dachte Rafiq wütend, er hatte nichts gefunden. Natürlich. Sie waren spurlos verschwunden.
Mein Gott, ein Alptraum hatte Gestalt angenommen.
„Was ist mit den Leichen?“, fragte Sofia.
Sofia, die einen ausgeprägten Sinn für das Pragmatische hatte. Sein Zorn war nicht verraucht, nachdem sie in die sichere Wohnung zurückgekehrt waren, im Gegenteil. Er brannte wie Säure in seiner Kehle, er nahm ihm die Luft zum Atmen. Er war kaum fähig zu denken vor Wut.
„Nach uns die Sintflut“, sagte Tal.
Katzenbaum nickte.
Rafiq starrte den Boden an. Nachdem klar war, dass Fedorow verschwunden war und Carmen mitgenommen hatte, hatten sie sich aus dem Staub gemacht. Die Nachbarn im Haus hatten zwischenzeitlich sicher die Polizei gerufen. Aber darüber machte Rafiq sich die geringsten Sorgen. Und er wusste, dass Katzenbaum ähnlich dachte. Sie hatten keine Fingerabdrücke in der Wohnung hinterlassen; niemand hatte sie lange genug gesehen, um sie später identifizieren zu können. Alles, was die Polizei finden würde, waren drei unbekannte Tote in einem verwüsteten Apartment.
„Wer zur Hölle sind die gewesen?“ Alex sprach laut aus, was alle anderen dachten. „Kann mir einer erklären, was da abgelaufen ist?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, murmelte Katzenbaum. „Nicht die geringste Ahnung.“
III Die Geisel
21 Beirut | Libanon
Niemand hielt sie auf, als sie durch die nächtlichen Straßen fuhren, die belebte Innenstadt allmählich hinter sich ließen und endlich die General Fouad Chehab Avenue erreichten, eine mehrspurige Promenade, die stadtauswärts führte.
Carmen umklammerte das Lenkrad, ihr Gesicht eine Maske, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Nikolaj beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Die Hand mit der Waffe lag auf seinem Oberschenkel. Der Blutverlust machte ihm zu schaffen. Er zitterte vor Kälte. Müdigkeit dämpfte seine Konzentration. Sein Bedürfnis, die Augen zu schließen, war überwältigend. Er zündete sich eine
Weitere Kostenlose Bücher