Das dunkle Fenster (German Edition)
blieb.
„Verdammt“, keuchte er, „was soll der Scheiß?“
Sie zitterte, und dann bemerkte er, dass sie weinte.
„Komm“, sagte er müde, „steh auf.“
Im Inneren der Höhle war es kühl und trocken. Die Luft roch abgestanden. Jeder Schritt verursachte einen Nachhall. Nikolaj zündete das Feuerzeug an und hielt die kleine Flamme mit ausgestrecktem Arm vor sich. In die Wände waren rostige Eisenkrampen eingelassen, die einst dazu gedient haben mochten, Vieh festzubinden. Er ließ die Flamme wieder erlöschen. Dunkelheit schloss sich um sie wie eine schwarze Decke.
Nikolaj schob die Waffe in seinen Hosenbund, ohne Carmens Arm loszulassen. Blind löste er seinen Gürtel und fesselte ihre Handgelenke damit an einen der Eisenringe. Sie sträubte sich nur schwach. Dann entzündete er abermals das Feuerzeug und blickte ihr ins Gesicht. Carmens Mundwinkel blutete.
„Ich bin gleich zurück.“
Das Licht erlosch, seine Schritte entfernten sich, sie war allein. Carmen zerrte an ihren Fesseln. Die Kanten des Gürtels schnitten in ihre Haut. Sie schloss die Augen und blinzelte die Tränen weg, die schwer in ihren Wimpern hingen. Es war ein Alptraum. Unwirklich. Sie fühlte sich wie eine Fremde in ihrem eigenen Körper, wie ein Geist, ein unbeteiligter Beobachter. Ihre Füße brannten, ihre Haut war von Kratzern übersät. Sie hatte sich den rechten Fußknöchel verstaucht und beide Knie aufgeschlagen. Ihre Gedanken glichen einem Malstrom. Wie besessen kreisten sie um die Frage, was sie tun sollte. Was sie überhaupt tun konnte.
Der Mann, der einst Nikolaj Fedorow gewesen war, hatte sich in einen Fremden verwandelt. Sie kannte nichts an ihm wieder. Der Nikolaj ihrer Erinnerung war weicher gewesen. Empfindsamer. Ein vollkommen anderer Mensch. Ihre Panik drohte in Hysterie umzuschlagen. Der Kerl, der sie hierher gebracht hatte, war ein Killer der ersten Garde. Einer, der von den großen Geheimdiensten gesucht wurde und von allen europäischen Polizeibehörden. Kurz fragte sie sich, was geschehen musste, um einen Menschen derart zu verändern. Ihre Gedanken verharrten nicht lange genug auf der Frage. Sie kreisten stattdessen um ihre Angst. Angst vor dem, was vor ihr lag. Angst davor, ihn falsch einzuschätzen. Angst, dass eine unbesonnene Reaktion sie das Leben kosten konnte.
Gott, sie waren naiv gewesen. So selbstsicher, so überzeugt von ihrem Plan.
Hochmut kommt vor dem Fall.
Die alte Weisheit schien ihr passend. Es war eine ernüchternde, eine demütigende Erkenntnis. Aber dennoch, der Plan war nicht schlecht gewesen. Er hätte wirklich funktionieren können. Wenn nicht plötzlich diese Revolvermänner aufgetaucht wären. Wer zum Teufel hatte die geschickt? Katzenbaum?
Nein, unmöglich. Dann hätte auch Rafiq davon gewusst, und Rafiq war ahnungslos gewesen. Schluchzend sackte sie gegen die Wand. Was sollte sie jetzt tun?
Nikolaj schleppte sich den Hügel hinunter zum Auto. Erschöpft lehnte er sich gegen den Wagen. Die Muskeln in seinen Beinen zitterten. Mit Carmen hatte er eine schwere Auseinandersetzung vor sich, das war ihm jetzt schon klar. Sie war nicht leicht einzuschüchtern, und er bezweifelte, dass sie ihm freiwillig sagen würde, was er wissen wollte. Sie hing irgendwie mit drin und würde ihre Position sicher schützen wollen.
Was sollte er tun? Es aus ihr herausprügeln?
Wenn es sein muss, dachte er erbittert. Die Vorstellung verursachte ihm Unbehagen. Er war nicht sicher, ob er die Nerven dafür aufbrachte.
Keuchend stieß er sich vom Auto ab und machte sich daran, das Schloss an der Heckklappe aufzubrechen. Im Kofferraum fand er eine Rolle mit Werkzeug, zerschlissene Decken und eine Flasche Wasser. Er durchsuchte auch den Rest des Wagens. In einer Seitentasche lag eingeklemmt zwischen alten Zeitungen und Schokoriegelpapier eine Taschenlampe. Nikolaj raffte alles Brauchbare zusammen und trug die Sachen hinauf in die Höhle. Er schaltete die Lampe ein und legte sie auf dem Felsboden ab. Seine Augen brannten, er war todmüde. Inzwischen bereitete es ihm Mühe, sich auch nur auf einfachste Handgriffe zu konzentrieren. Er sah ein paar Mal zu Carmen herüber, wie sie an der Wand lehnte, der dünne Blutfaden in ihrem Mundwinkel. Schließlich stand er auf und ging zu ihr, um den Knebel zu entfernen. Heftig riss sie den Kopf zur Seite.
Nikolaj sah, dass sie geweint hatte. Ihre Augen waren glasig und blutunterlaufen, die Wimpern feucht. Etwas in ihm verhärtete sich. Er durfte nicht zulassen, dass
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