Das dunkle Feuer der Nacht: Roman (German Edition)
ähnlich gesehen hatten. Er war ein hochgewachsener, gut aussehender Mann gewesen, der immer ein Lächeln im Gesicht gehabt hatte, sie hoch in die Luft gehalten und herumgewirbelt hatte wie einen Kreisel und ihr stets das Gefühl gegeben hatte, eine Prinzessin in diesem Regenwald zu sein. Da waren ihre beste Freundin Marcy und auch Marcys Bruder Phin, ein großer, ernster Junge, der am liebsten las. Mit ihrem gewinnenden Lächeln und den großen grünen Augen konnte Marcy ihn jedoch immer dazu überreden, ihre Spiele mitzumachen. Ihre Eltern …
Die Katze blinzelte, als sie versuchte, sich an die Namen von Marcys und Phins Eltern zu erinnern. Wieso fielen sie ihr nicht ein? Sie würde diese Leute nie vergessen. Sie war der einzige Mensch, der noch da war, um von ihrer Existenz zu berichten. Aufgeregt erhob sie sich, mit zitternden Flanken und hechelnd vor Anstrengung, und kämpfte mit ihrem trägen Gehirn, um ihm die Namen der beiden Menschen zu entringen, die zu allen in diesem kleinen Dorf so gut gewesen waren. Annika und Joseph.
Schwer atmend ließ sie sich wieder in der Astgabel nieder. Das dritte Haus gehörte Tante Audrey, der jüngeren Schwester ihrer Mutter, die dort mit ihren Töchtern Juliette und der kleinen Jasmine, ihrer jüngsten Cousine, lebte. Juliette stand ihr sehr nahe, da der Altersunterschied zwischen ihnen weniger als ein Jahr betrug und sie praktisch andauernd zusammen waren. In dem vierten Haus war das Heim der meisten Kinder – vier Jungen und zwei Mädchen, alle Waisen, die von dem kinderlosen Ehepaar Benet und Rachel aufgenommen und wie eigene Kinder aufgezogen worden waren.
Sie alle lebten, arbeiteten und spielten tief im Urwald, weit entfernt von anderen Zivilisationen, und allen wurde schon früh in ihrem Leben beigebracht, sich in nahen Höhlen und unterirdischen Tunneln zu verstecken. Leider standen die Höhlen häufig unter Wasser, sodass sie sehr auf der Hut sein mussten, um nicht darin eingeschlossen zu werden, wenn die Tunnel Wasser führten. Dennoch übten ihre Eltern alle paar Tage mit ihnen, schnell zu laufen, sich nicht umzusehen und sich durch Wasser zu bewegen, um keine Spuren zu hinterlassen.
Phin war der Älteste von ihnen, und oft folgte sie ihm auf Schritt und Tritt und löcherte ihn mit Fragen nach der Außenwelt und warum sie sich manchmal so still verstecken mussten. Dann machte er ein trauriges Gesicht, legte die Hand auf ihren Kopf und sagte ihr, sie sei etwas ganz Besonderes, und deshalb müssten alle auf sie achtgeben.
Das Jaguarweibchen seufzte. Es regnete noch immer, und die Katze hob das Gesicht, um den Regen die Tränen von ihrem Gesicht abwaschen zu lassen. Es nützte nichts, um die Vergangenheit zu weinen. Sie konnte nicht ändern, was geschehen war; sie konnte nur versuchen, andere vor dem gleichen Schmerz und Verlust wie dem ihren zu bewahren.
Sie blickte weiter zu den Ruinen hinunter, und nun wurde das Kinderlachen zu Schreien. Männer strömten aus dem Dschungel. Große Raubkatzen folgten ihnen, die die Jungen anfielen und ihnen mit den Krallen die Kehle herausrissen. Adam und Avery traf es mitten im Maisfeld, wo sie mit ihnen Verstecken gespielt hatte, bevor die mächtigen Jaguarmenschen sie umringt hatten. Gnadenlos schlugen sie ihren Brüdern den Schädel ein und zertrampelten das Maisfeld. Sie versuchte wegzulaufen, wurde aber von einer der großen Bestien gepackt und zu der Lichtung gebracht, wo Phin und ihr Vater Rücken an Rücken kämpften und versuchten, die Männer daran zu hindern, ihre Mutter aus dem Haus zu zerren.
Ein Schluchzen stieg in der Raubkatze auf, ein ersticktes Aufheulen, mit dem die Kehle eines Jaguars nicht umgehen konnte. Keuchend reckte sie das Gesicht zum Himmel, sodass die brennenden Tränen sich wieder mit den Regentropfen vermischten. Adam und Avery waren ihr genommen worden, und dann hatten die Männer die beiden Jungen so achtlos beiseitegeworfen, als wären sie nicht mehr als Abfall. Sie erinnerte sich, wie furchtbar schwindlig ihr geworden war, als einer der Männer sie sich über die Schulter geworfen hatte und mit ihr durch das Feld gelaufen war. Der Mais hatte ihr ins Gesicht geschlagen, und überall waren große Blutflecke zu sehen gewesen. Sie sah, wie ein Mann mit einer Machete Benet tötete und gleich darauf seine vier Jungen – nicht einmal den jüngsten von ihnen, den erst zweijährigen Jake, verschonten sie. Rachel hielt sie mit einer Waffe in Schach und feuerte auf die Männer, um sie von den zwei
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