Das dunkle Feuer der Nacht: Roman (German Edition)
hinaufwanden. Dominic bemerkte jede einzelne und erfreute sich an all den wundervollen Farben, die er jahrhundertelang nicht mehr gesehen hatte. Endlich konnte er die Schönheit der Welt wieder genießen, statt sich nur noch an sie zu erinnern! Tatsächlich waren sogar seine Erinnerungen während des letzten Jahrhunderts stark verblasst. Aber jetzt konnte er aus luftiger Höhe hinunterblicken und den Anblick der mit Blumen bedeckten Bäume, die Explosion der Farben, die lebhaften Grüntöne der Bäume und die leuchtenden Schattierungen der Pilze in sich aufnehmen. Auch die Wasserfälle und Teiche, von denen die Landschaft übersät war, und der angeschwollene Fluss, der sich in und aus dem Urwald schlängelte und einen Weg durch unwegsameres Gelände bahnte, war für Dominic ein wundervoller Anblick.
Als er nirgendwo Anzeichen von Brodrick entdeckte, flog er erleichtert zu der Stelle zurück, wo sie gegen die Vampire gekämpft hatten. Er wusste, dass Zacarias ihn dort treffen würde, falls es irgend möglich war. Unter sich entdeckte er das Labor. Jemand hatte bereits mit Reparaturen an der zerstörten Seite des Gebäudes begonnen. Dominic flog in einem Kreis darüber hinweg und versuchte, Brodricks Geruch zu wittern. Falls er den Mann fand, würde er ihn töten. Er wusste, dass Solange die Absicht hatte, ihren leiblichen Vater selbst ins Jenseits zu befördern, doch das Einzige, was zählte, war, d i e s e m M o n s t e r E i n h a l t zu gebieten. Seinem Abschlachten derer, die er als »unrein«, betrachtete, und seinen Entführungen und brutalen Übergriffen auf Frauen ein Ende zu bereiten.
Die Luft war plötzlich wie elektrisch aufgeladen, und Dominic ließ sich in den Bäumen nieder, faltete die mächtigen Schwingen und beobachtete, wie eine hochgewachsene, eindrucksvolle Gestalt aus dem kniehohen Nebel auf dem Boden trat. Der Mann blieb einen Moment stehen, und obwohl ihm silbernes Haar auf den Rücken fiel, war sein Körper sehr durchtrainiert und muskulös. Als er sich umdrehte, erkannte Dominic ihn aus vergangenen Zeiten. Giles, ein alter Freund. Er entstammte einer Handwerkerfamilie, und Dominic hatte ihn stets bewundert. Giles war schnell und kontrolliert im Kampf gewesen, ein guter Mann, den man gern im Rücken oder an der Seite hatte. Er hätte nie erwartet, Giles einmal als Vampir zu sehen.
Er sah gut aus, sein Gesicht war makellos, seine Zähne glänzten weiß, und sein Charme war selbst aus der Entfernung wahrnehmbar. Er musste schon sehr, sehr lange ein Vampir sein, um sich das Geschick erworben zu haben, alle Anzeichen des verfaulenden Fleisches und der schwarzen Seele zu verdecken. Die Art, wie er mit dem Fuß aufstampfte, war der einzige Hinweis darauf, dass er verärgert sein könnte. Er schien auf irgendetwas oder irgendwen zu warten und gereizt zu sein, weil dieses Etwas oder dieser Jemand sich verspätete. Und das verriet Dominic alles, was er wissen musste. Giles war ein Meistervampir, ebenso erfahren in den dunklen Künsten wie im Kampf. Er war es gewohnt, an der Spitze der Nahrungskette zu stehen. Und falls er an der Verschwörung der Malinovs, den Prinzen zu stürzen, beteiligt war, war die ganze Sache viel gefährlicher, als alle dachten. Kein Meister von Giles’ Kaliber würde sich dazu verpflichten, unter einem anderen zu dienen. Die Vampire entwickelten sich weiter. Irgendwie mussten die Malinovs es geschafft haben, einen Weg zu finden, die Eitelkeit der Untoten und ihre hemmungslose Zerstörungswut zumindest ansatzweise unter Kontrolle zu bringen.
Zwei weitere Gestalten traten aus dem Wald, für einen Moment nur transparent, bevor sie sich ganz zu erkennen gaben. Das war nichts Ungewöhnliches, wenn sich jemand schnell von einem Ort an einen anderen versetzte. Beide sahen zerzaust und ungepflegt aus, obwohl sie sich gleich wieder zusammennahmen, als sie im hellen Mondlicht standen. Giles runzelte bereits die Stirn über ihre mangelnde Fähigkeit, ihre Erscheinung zu bewahren. Die Neuankömmlinge waren keine geringeren Vampire, was für Giles offensichtlich ein weiteres Ärgernis war. Die meisten Meister konnten nur die neuesten Vampire bei sich behalten, damit sie ihnen als Schachfiguren dienten, solange sie das Vampirsein lernten, doch diese beiden Männer hatten eindeutige Fähigkeiten.
»Ihr habt euch verspätet«, warf Giles ihnen vor. Dann verengten sich seine Augen, und er richtete seinen rot glühenden Blick auf den Mann zu seiner Linken. »Du solltest Demyan und seine
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