Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
umkehren. Sie hatte um Gespräche mit Angestellten gebeten, mit Leuten, die Umgang mit Sandra gehabt oder sie wenigstens gesehen, gehört hatten. Sandra und Jovan waren beide in dem Unternehmen angestellt gewesen, aber Jovan war sehr selten anwesend, da er in der Hauptstadt arbeitete. Die meisten kannten ihn gar nicht. Sandra sollte von der Sekretariatsstelle zu einem neuen Job in der Presseabteilung aufsteigen und sich gleichzeitig um interne Entwicklungsprojekte kümmern. Sie hatte noch gar nicht richtig angefangen, nicht ernsthaft.
Hoffner saß in einem länglichen Konferenzraum. Leute kamen und gingen, sie hätte einen weniger formellen Raum vorgezogen. Vielleicht war dies hier ohnehin keine gute Idee, aber lieber zu viele Verhöre als zu wenige, mehr Interviews als gar keine.
Jetzt sprach sie mit Jeanette, jüngere Person, alert wirkend, entschlossen, Karriere zu machen, allzeit bereit mit einem Lächeln, selbst wenn es nicht passte. Gerda war aufgefallen, dass Menschen, die Karriere machen wollen, viel häufiger lächeln als andere, ein Lächeln, das morgens aufgesetzt und erst gegen Mitternacht oder noch später wieder abgenommen wird, manchmal klebt es vermutlich rund um die Uhr fest. Wenn sie als Kind eine Grimasse zog, hatte ihre Mutter gesagt: »Pass auf, zieh keine Grimassen, sonst bleibt dein Gesicht so stehen.« Und die kleine Gerda hatte es geglaubt, lange hatte sie es geglaubt, war viele Jahre für sauertöpfisch gehalten worden. Erst spät fing sie an, Karriere zu machen.
»Es ist entsetzlich«, sagte Jeanette jetzt. »Sie war so nett.«
»War sie zu allen nett?«
»Ja … warum sollte sie nicht?«
»Kann man zu allen nett sein?«, fragte Hoffner.
»Das … muss man wohl?«
Schon weniger kann einen zynisch machen, dachte Hoffner. Aber es ist vermutlich nett, wenn alle nett sind, werd nicht zynisch, kleine Gerda.
»Es ist gut, wenn die Menschen nett sind«, sagte sie.
Jeanette sah besorgt aus, als wäre ihr etwas in dem Lehrgang entgangen.
»Mit wem hat sie sich denn besonders gut verstanden in der Firma?«, fuhr Hoffner fort.
»Sie … hat sich mit allen verstanden.«
»Hm.«
»Ihr Mann war ja auch manchmal hier.«
»Klar.«
»Meistens war er in Stockholm.«
»Ich weiß.«
»Haben Sie mit Jens gesprochen?«
»Jens?«
»Jens Likander. Hatte er nicht ein Projekt zusammen mit Sandra? Irgendwas mit Weiterbildung?«
»Das hatte er vielleicht«, sagte Hoffner.
»Sie haben also mit ihm gesprochen?«
»Nein, noch nicht.«
Als er mich durch das Fenster gesehen hat, was für ein Schock, ich glaube nicht, dass er in dem Moment geglaubt hat, dass ich es gemerkt habe, hab so getan, als würde ich nichts sehen, und was gab es auch zu sehen, da wusste ich es ja noch nicht. Es war verdammt kalt an dem Morgen.
Jetzt ist es kalt. Hier wohne ich, mein Heim, warum nicht, ich bin bald zu Hause, in meiner warmen Höhle, läuft doch alles prima, bloß keinen falschen Schritt tun, da meine Tür, vielleicht sollte man umziehen, es ist an der Zeit hab schon lange genug hier gewohnt keine Zukunft aber jetzt gibt es bald eine bombige Zukunft Scheiße wie das zieht ist die Tür nicht geschlossen hab ich vergessen den Herd abzuschalten ha ha ha es riecht nicht nach Rauch hab übrigens schon seit Ewigkeiten keine Nachbarn mehr gesehen wo sind die denn vielleicht für immer weg oh was für ein Gerenne hinter hallo ich krie …
Jana lief und lief, drehte sich um, lief weiter. Er war wieder auf der Insel, warum zum Teufel hatte er sich dafür entschieden. Eigentlich leicht zu verstehen, hier war er gewesen, als das passierte, wodurch er im Kittchen landete, da war das Meer vereist gewesen, jetzt war es frei, er wollte, dass alles wieder war wie vorher, nichts war passiert, alles konnte von vorn anfangen.
»Jana! Jana!«
Sie rannte über die Brücke, kam zurück, nur sie beide waren unterwegs. Die Luft war frisch. Frei zu sein war schön, nicht alle kapierten das, wussten es zu schätzen, wir hier oben am Eismeer haben etwas zu bieten, Freiheit! Erzähl das den schwarzen Ärschen in der Wüste, diesen Diktatorschweinen, Scheiße, ich hätte selbst Terror gemacht, ich hätte ich hätte.
Jens Likander sah gut aus, um die fünfunddreißig. Wirkte nett, aufmerksam.
»Das ist schon lange her«, sagte er.
»Wie lange her?«
»Na ja, eine ganze Weile, bevor sie in die Elternzeit ging.«
»Was war das für ein Projekt?«
»Gleichberechtigung.«
»Okay.«
»Damit ist es jetzt vorbei.«
»Was, mit der
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